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letzte Tiefen der Problematik geistigen Werdens. Als entscheidende
Phasen geistiger Umgliederung erkennt er im Anschluß an Meister
Eckehart: G r ü n d u n g (grundlegende Ausgliederung des Neuen
durch Eingebung) und E n t f a l t u n g (Vertiefung, Verarbeitung
und Fruchtbarmachung des Neuen). Gründung ist Durchbruch des
Neuen, Entfaltung dessen Wirksamwerden. Gründung vollzieht sich
im geistigen Schauen als Eingebung, Entfaltung als Annahme und
Wirksamwerden des Neuen in Denken, Gestalten und Handeln.
Der Mensch kann nicht im Schauen verharren, immer muß dem
Schauen ein Handeln folgen. „Was im Schauen angesammelt wird,
fließt in Wirken aus.“
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In der Erkenntnis von Gründung und Entfaltung als Grundfor-
men der Umgliederung gewinnen die für die Erfassung des Wesens
des Geschichtsablaufes unzureichenden Modelle als S o n d e r -
g e s t a l t e n der Umgliederungsordnung Sinn und Bedeutung.
Bestimmte Prozesse geistiger Entfaltung (und ihrer Fehlformen)
kehren wieder (Kreislauf), Erreichen von Zielen erscheint als Fort-
schritt, neue Ausgliederung als Jugend, gegensätzliche Entwicklun-
gen erscheinen als dialektische Phasen.
Aus der Umgliederungsordnung folgt N i c h t u m k e h r b a r -
k e i t des Geschichtsablaufes, Unmöglichkeit völliger Wiederher-
stellung des Vergangenen, totaler Restauration. Die Maßstäbe der
Geschichtsschreibung ergeben sich Spann aus dem S a c h gehalt
der sich umgliedernden Ganzheiten und den Umgliederungserforder-
nissen. Die Aufgabe des Historikers ist es, diese zu erkennen. Die-
selben Kriterien lassen ihn auch s t e t i g e Umgliederung von
g e b r o c h e n e r unterscheiden. Umgliederung vollzieht sich ste-
tig, wenn bei ihr sachlicher Zusammenhang gewahrt bleibt, geht er
verloren, so kommt es zum Bruch. Dieser führt zumeist zu Schädi-
gung und Verfall, nur wo er starr und unfruchtbar Gewordenes be-
seitigt, kann er schöpferische Kräfte entbinden.
Stetige Umgliederung findet sich in der Geschichte nur in An-
näherung. Denn nichts ist in ihr vollkommen, gesund, voll den Aus-
gliederungserfordernissen entsprechend. Immer zeigt sich Wider-
streit, Kampf, Leid und in ihrer Folge: S p a n n u n g (Entonie).
Spannungen sind die unmittelbar wirkenden Kräfte des realen
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Siehe oben S. 139.