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Mit diesem heroisch-optimistischen Ansatz, der in der neuzeit-
lichen Philosophie nichts seinesgleichen hat, nimmt Spann das
Grundanliegen der Leibniz’schen Metaphysik wieder auf und führt
es kongenialer Lösung zu.
Aus dem gesollten Sein, an den „sachlichen Aus- und Umgliede-
rungserfordernissen“
1
, die ja Sollensforderungen sind, hat die Ge-
schichtsschreibung die historische Wirklichkeit zu messen.
In seiner Theorie der Fehlumgliederungen setzt sich Spann mit
der Dialektik des deutschen Idealismus auseinander. Er weist darauf
hin, daß nur Fehlumgliederungen in Formen der Gegensätzlichkeit
(oder der Dialektik) vor sich gehen.
Während aber bei den Philosophen des deutschen Idealismus, be-
sonders bei Hegel, der Gegensatz zum schöpferischen Prinzip wird,
sieht Spann in ihm eine Erscheinungsweise des Unvollkommenen,
Ausdruck von Fehlumgliederungen, Brüchigkeit und Mangel.
Eingehende Betrachtung widmet Spann der v e r e i t e l n d e n
V e r n e i n u n g , der absichtlichen Vereitelung von Heilung durch
List, Lüge und Schein (die er als Gegenverfall bezeichnet). Sie ist
ihm charakteristische Manifestation der Macht des Bösen, des Un-
h o l d e n t u m s . Das Wesen des Bösen sieht er mit Kant nicht in
Unzulänglichkeit und Schwäche, sondern in bewußtem Kampf gegen
das Gute, das Seinsollende. Die verderblichste Waffe des Bösen ist
das S c h e i n g u t e , seine gefährlichste Verkörperung das dämo-
nische Gegengenie (der Genie-Affe, wie ihn Spann nennt), das als
radikaler Weltverbesserer auf den Plan tritt und seine Absichten
durch Utopien tarnt.
Aber aller Unvollkommenheit, allem Bösen, wirkt ständig hei-
lende, erlösende Kraft entgegen. Ohne sie wäre die menschliche Welt
schon lange der Vernichtung anheimgefallen. Die Betrachtung der
Wirklichkeit läßt Spann erkennen: „Die Welt muß unaufhörlich er-
löst werden, sonst müßte sie in Verzweiflung vergehen.“
2
Seine Wirklichkeitsbezogenheit enthüllt Spann die düstere Tragik,
die Geschichte auch in ihren glücklichsten Epochen, in sich birgt, in
ihrer ganzen Fruchtbarkeit. Das Schicksal Christi ist ihm das höchste
Sinnbild dieser Tragik.
1
Siehe oben S. 120.
2
Siehe oben S. 128.