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nis; für die M y s t i k e r stand die Gottesgemeinschaft, welche
Teilnahme am göttlichen Leben und die Liebe zu Gott in sich
schließt, im Mittelpunkte, die schon von / P l a t o n , d e n N e u -
p l a t o n i k e r n , manchen S c h o l a s t i k e r n und allen, die
ihnen nachfolgten, als Verähnlichung mit Gott oder Vergottung be-
stimmt wurde; auch J o h a n n G o t t l i e b F i c h t e , von Kant
ausgehend, fand den Grund des moralischen Wollens und Wirkens
im absoluten, sich selbst setzenden Ich, welches im menschlichen Ich
aufbricht, daher für dieses das ewige Leben nicht jenseits ist, sondern
schon hier in unserem Herzen lebt; die Weisheit der altindischcn
U p a n i s c h a d e n endlich hebt immer wieder die Erkenntnis auf
das eindringlichste hervor: „Indra sprach“, heißt es in der Kaushî-
taki-Upanischad, „so erkenne mich! Denn dieses erachte ich für den
Menschen als das Heilsamste, daß er mich erkenne“
1
.
Würdigt man alle diese Merkmale — die naturalistischen Erklä-
rungen seit T h o m a s H o b b e s u n d D a v i d H u m e , wonach
sinnliche Bedingtheiten, „anthropomorphe Projektionen“, das We-
sen der Religion ausmachten, lassen wir zunächst hier beiseite
2
—
würdigt man diese Merkmale, so findet man, daß wohl keines davon
für sich allein den Religionsbegriff erschöpfen könne, daß aber auch
keines davon entbehrlich sei. Denn wie sollten Glaube, Gefühl, Er-
kenntnis, Gottesgemeinschaft, Sittlichkeitsforderung jemals einer
Religion fehlen können? Es müssen alle diese Merkmale zusammen-
genommen werden —allerdings ohne ins bloß Eklektische zu ver-
fallen, das heißt sie müssen als ein Organismus, als ein Ganzes, nicht
als ein Nebeneinander begriffen werden.
Alles kommt also darauf an, sie in den richtigen Zusammenhang
zu bringen, die Wurzel zu finden, aus der sie sich organisch ent-
wickeln lassen. Wir finden diese Wurzel in der B e f a ß t h e i t
o d e r R ü c k v e r b u n d e n h e i t des Menschen im Höchsten,
in Gott. Gott und Mensch stehen einander nicht äußerlich gegen-
über, sondern der Mensch findet sich in Gott befaßt, enthalten,
rückverbunden — ein Begriff, der, einmal gedacht, sich von selbst
1
Kaushîtaki-Upanishad 3
;
1 in: Sechzig Upanishads des Veda, aus dem
Sanskrit übersetzt von Paul Deussen, 2. Aufl., Leipzig 1905, S. 43.
2
Vgl. darüber unten S. 21 f., 24—26, 29, 40 und 163.