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Eine besondere Fassung des Schöpfungsbegriffes, die sich in mysti-
schen Theologien findet, ist die E m a n a t i o n , wonach die Schöp-
fung, Mensch und Welt, als abgeschwächter Ausfluß Gottes aufzu-
fassen wäre; ferner die Z e u g u n g . In beiden Fällen muß sich
aber die moderne Auslegung hüten, sich allzusehr an die natur-
wissenschaftliche Denkweise der Neuzeit zu halten, das heißt / diese
Vorgänge als im heutigen Sinn naturhafte, impersonale, stoffliche
aufzufassen, wodurch das Schöpfungsbewußtsein allerdings getrübt
wäre. Es ist die Frage, wieweit die Vorstellung der alten Religionen
und Metaphysiken, z. B. der indischen und neuplatonischen, als
strenge Begriffe oder ob sie nicht vielmehr als S i n n b i l d e r zu
behandeln seien. Denn im heutigen Sinn materialistisch vorgestellte
Naturprozesse liegen den alten Zeiten ja gänzlich ferne! Ihre Denk-
weise wird ihnen den Schöpfungsvorgang Gottes im Grunde in
demselben Licht erscheinen lassen wie das, was das strenge philoso-
phische Denken als Schöpfung im engeren Sinn (das heißt im
Gegensatz zu einem notwendigen oder gar mechanischen Natur-
prozeß) faßt, oder was die christliche Theologie als „Schöpfung aus
dem Nichts“ bezeichnet. Muß doch auch nach platonischer Lehre
die Schöpfung als durch die Ideenwelt, das heißt als durch die gött-
liche Gedankenwelt erfolgend gedacht werden (trotzdem Platon
das nicht ausspricht), was im Grunde der durch den christlichen
Logos, das göttliche Wort, Schöpfungswort, erfolgenden entspricht.
In welcher Fassung es aber auch auftrete, stets zeigt sich das
Schöpfertum als notwendige Grundvorstellung aller höheren
Religiosität.
B.
U n v o l l k o m m e n h e i t s b e w u ß t s e i n u n d
E r l ö s u n g ( G n a d e , V e r m i t t l u n g , A b f a l l )
Nicht im Vollzug des Rückverbundenheitsbewußtseins selbst,
vielmehr in der empirischen Erfahrung des Menschen liegt auch
der Anlaß zur Reflexion auf die Unvollkommenheit seiner selbst
und der Welt. Aus dem V e r g l e i c h der mystisch religiös erlebten
Vollkommenheit und Hoheit des göttlichen Wesens mit dem Zu-
stand eines irdischen Daseins folgt unvermeidlich der Drang des
Menschen, die Gebrechlichkeit, die Übel, das Böse dieses Daseins
gelindert oder beseitigt zu sehen. Unvermeidlich, aber n a c h -
t r ä g l i c h wird dadurch das Verhältnis des Menschen zu Gott