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Σωτήρ (Retter, Heiland) ausdrücklich bezeichnet; und Zeus hat ähn-
liche Beinamen.
Der altgriechischen O r p h i k zufolge bildete Zeus aus der Asche
der Titanen, welche zuvor den Gott Dionysos verschlangen, das
Menschengeschlecht, das nun aus beiden Elementen, den bösen,
titanischen, und den göttlichen Kräften besteht; „da ja die ver-
derblichen Titanen den Gottessohn verzehrt hatten und dadurch
auch lichter Elemente voll sind“
1
. Aus diesem „Hauptdogma“ der
Orphiker folgt, „daß das mit Sünde beladene Menschengeschlecht
sich durch innerliche Reinigung von den in ihm liegenden Schlacken
des Bösen erlösen muß“
1
.
Dem Dionysos ähnlich drückt die g e r m a n i s c h e Gestalt des
von seinem blinden Bruder Hödur getöteten, später wieder er-
stehenden Gottes Baldur den Erlösungsgedanken in metaphysischer
Tiefe, nicht nur äußerlich-symbolisch, aus; ebenso die Götterdäm-
merungslehre der Germanen
2
.
Gleiches finden wir im s u m e r i s c h - b a b y l o n i s c h - a s -
s y r i s c h e n Glauben. „Von den sumerischen Anfängen an ziehen
zwei Typen des Erlösers nebeneinander h e r . . . . Der eine ist der
leidende, sterbende, in die Unterwelt fahrende und auferstehende
Heilbringer, der andere der kämpfende, siegende und seine Apo-
theose feiernde“, sagt Alfred Jeremias
3
. Diesem zufolge ist die Er-
lösererwartung „der gesamten, innerlich einheitlichen Religion“
eigen, indem sie Idealgestalten „eines Heilbringers“ ausbildet, „der
die Verderbensmächte überwinden und die neue Welt, den neuen
Aeon, beherrschen wird“. „Tamuz, Marduk, Osiris, Adonis, Mi-
thras, Baldur usw. sind sämtlich Variationen dieser Idealgestalt“
4
.
Dazu kommen die in allen polytheistischen Religionen mächtigen
M y s t e r i e n sowie die g n o s t i s c h e n R i c h t u n g e n . Sie
alle erstreben mit ihren Einweihungen und Lehren seelische W i e -
1
Thassilo von Scheffer: Hellenische Mysterien und Orakel, Stuttgart 1940,
S. 97.
2
Über Wotans Selbstopfer am Weltenbaum vgl. unten S. 274.
3
Alfred Jeremias: Handbuch der altorientalischen Geisteskultur, 2. Aufl.,
Berlin 1929, S. 313. — Zur vorsumerisdien Kultur vgl. Arthur Ungnad: Subartu,
Beiträge zur Kulturgeschichte und Völkerkunde Vorderasiens, Berlin und Leip-
zig 1936.
4
Alfred Jeremias: Die Bedeutung des Mythos für die Dogmatik, in: Fest-
schrift für Ludwig Ihmels, 1928, S. 244.
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