112
[97/98]
Brahman und des Ich, des Atman. Beide sind Eins. „Das bist
du…“. t a t tvam asi, ist die ständige Formel, welche das höchste
Ergebnis indischer Spekulation anzeigt.
Durch die Erkenntnis, daß das menschliche Selbst und das Welt-
Selbst, Atman und Brahman eins seien, wird nach den Upanischaden
die Einswerdung wirklich erlangt; und der Erkennende ist durch
diese Erkenntnis auch der Seelenwanderung entzogen: durch Wissen
wird das höchste Ziel, die Erlösung, erreicht
1
.
Überdies tritt bei den Indern die Sage von einem Gott Kali auf,
der auf weißem Pferd kommen soll, um die Welt aus dem Übel
zu erlösen.
Der h e u t i g e H i n d u i s m u s betrachtet als Merkmale
seiner Religion: „1. Fester Glaube an die Vedas, 2. Mannigfaltigkeit
der Mittel der E r l ö s u n g , 3. Reinigungszeremonien . . . , 4. Man-
nigfaltigkeit der Götter“
2
. Die Erlösung wird entweder durch das
W i s s e n , die Vidya, oder durch die B h a k t i (Hingabe, Liebe,
Glaube) erlangt und will Erlösung sein nicht nur vom jetzigen
Leben, sondern auch von allen künftigen Geburten, von S a m s a r a
— heute wie einst!
Der B u d d h i s m u s . Ob wir nun den ursprünglichen, ortho-
doxen Buddhismus oder seine späteren Schulen und Ableitungen ins
Auge fassen, stets erscheint der zuletzt angeführte Gedanke des
Brahmanismus, nämlich die Befreiung von der Seelenwanderung,
als der Grundgedanke des Buddhismus. Um ihn, um die Erlösung,
dreht sich im Buddhismus alles!
„Wie das große Meer nur von einem Geschmacke durchdrungen ist, vom Ge-
schmacke des Salzes, also ist auch diese Lehre und diese Ordnung nur von
e i n e m Geschmacke durchdrungen, vom Geschmacke der Erlösung“
3
.
Allerdings begründete der Buddhismus, soweit wir erkennen können, die Er-
lösung wesentlich aus dem Leiden, also, so müssen wir zum Unterschied von rei-
ner Mystik, die dem Leben und der Welt trotz allen Abstandes einen eigenen
Wert zuerkennt, sagen, im Grunde negativ.
Dem Buddhismus ist das ganze Leben L e i d e n (1), „Dies, ihr Mönche, ist die
heilige Wahrheit vom Leiden: Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist
Leiden, Tod ist Leiden, mit Unlieben vereint sein, ist Leiden, / von Lieben ge-
1
Siehe die Belege oben S. 108 unter „Abfall“.
2
Angeführt bei Joseph Abs: Indiens Religion, Eine Darstellung des Hinduis-
mus, Bonn 1923, S. 12.
3
Cullavagga, 9, 1, 4, angeführt bei Otto Strauß: Indische Philosophie, Mün-
chen 1925, S. 89.