114
[99/100]
welche zu diesem Ziel unmittelbar hinführt, ungleich mehr hervor-
gehoben als in jeder anderen Religion.
Ferner scheint jeder Buddhismus, theoretisch genommen,
S e l b s t e r l ö s u n g zu lehren, denn die Versenkung (Yoga)
führt in eine Gottestiefe, welche der Mensch durch eigene Kraft
erreicht — ob auch ohne die Hilfe eines Gottes, das bleibt freilich
zweifelhaft. In der p r a k t i s c h e n Religionsausübung der ver-
schiedensten buddhistischen Richtungen steht es indessen auch da
anders. Es kommt dort stets zur Hilfe nicht nur von Göttern,
sondern vor allem eines Buddhas oder, des künftigen Buddha, des
sogenannten Bodhisattva, der dann die eigentliche Erlöserpersön-
lichkeit ist, also ein realer Mittler
1
.
In p h i l o s o p h i s c h e r Hinsicht sind am Buddhismus realistische Rich-
tungen, welche die Realität der Außenwelt und des Ichs lehren, neben solchen
zu unterscheiden, welche einer Leugnung der Realität der Außenwelt (Mayalehre)
und sogar des Ichs, also demnach der Substantialität der Seele mindestens zu-
neigen. Letztere (hauptsächlich im südlichen Buddhismus vertreten) sind wohl das
Bedenklichste am Buddhismus, denn sie führen in e t h i s c h e r H i n s i c h t
zu einem absoluten Quietismus und Indifferentismus, welcher dann sozusagen
die Voraussetzung der Erlösung bilden soll. — Sofern aber die p r a k t i s c h e
F r ö m m i g k e i t Buddha selbst als Gott verehrt, ihn also nach dem Tod
weiterbestehen läßt, seiner Seele damit Substantialität und Persönlichkeit zuer-
kennt, sind alle diese Bedenken ohnehin hinfällig. Jedenfalls leistete diese Fröm-
migkeit in der Ausübung mystischer Versenkungslehren Großes
2
.
Y o g a , S a m k h y a u n d J a i n i s m u s hängen ebenso wie
der Buddhismus mit der Seelenwanderungslehre eng zusammen,
womit von selbst eine zentrale Stellung des Erlösungsgedankens
gegeben ist. Ganz besonders ist der Jainismus als Erlösungsreligion
zu bezeichnen.
Im P o l y t h e i s m u s der Sumerer, Griechen, Römer, Ägypter,
Germanen finden wir überall die Erlösung, wenn auch zum Teil
vom üppigen Rankenwerk der vielen Riten überwuchert. Die Ge-
stalt des O s i r i s und des, ebenfalls in Stücke zerrissenen und wieder
auferstandenen, D i o n y s o s bezeugt den Erlösungsgedanken (nicht
etwa nur Sterben und Erwachen der Natur!), Dionysos wird als
Ελευθερεύς
; (Befreier),
Λυαΐος, Λυοεύς, Λυσιος
(Löser, / Erlöser),
1
Über den Begriff des N i r v a n a vgl. unten S. 128 f.
2
Zur Sache selbst vgl. Hermann Oldenberg: Buddha, Sein Leben, seine Lehre,
seine Gemeinde, 6. Aufl., Stuttgart 1914, S. 312 ff.; Max Walleser: Die philoso-
phischen Grundlagen des älteren Buddhismus, Heidelberg 1904.