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Ich wies in meiner „Kategorienlehre“ die Stellvertretung / deutlich
als eine durchaus allgemeingültige, ganzheitliche Kategorie nach
1
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Die Stellvertretung schließt notwendig eine U b e r l e i s t u n g
des vertretenden Gliedes in sich, da sie ja eben darin besteht, die
Leistung des ausfallenden, vertretenen Gliedes zu ersetzen.
Sowohl dem Wesen der Sache nach wie geschichtlich zeigen sich
demnach: Erlösung, Mittlertum, Bewußtsein des Bösen und des
Übels sowie der Gnade als zum Wesen der Religion gehörig, daher
mindestens andeutungsweise mit allen Religionen verbunden
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b. R e l i g i o n s g e s c h i c h t l i c h e B e l e g e
z u r K a t e g o r i e d e r E r l ö s u n g
Dem empiristischen Denken ist in seiner naiven Naturbefangen-
heit der Erlösungsgedanke nur schwer begreiflich. Darum weisen wir
im folgenden noch auf das Tatsächliche der Religionsgeschichte hin.
In den höheren Religionen tritt der Erlösungsgedanke — und
die mit ihm verbundenen Kategorien von Abfall, Heil, Schuld,
Gnade, Mittlertum, Stellvertretung, welche wir im folgenden nicht
mehr eigens erwähnen — so sehr in den Vordergrund, daß sie ge-
radezu Erlösungsreligionen heißen. In anderen Religionen spielt er
eine geringere Rolle, aber ganz ohne ihn ist gar keine Religion,
von der uns Geschichte und Völkerkunde Kenntnis geben. Der
Kenner der Religionsgeschichte wird dem nicht widersprechen.
Schon darum können folgende kurze Hinweise hier genügen.
Der B r a h m a n i s m u s hat zwar weder in seinen polytheisti-
schen Religionsübungen, noch in seiner spekulativ-philosophischen
Systematik, wie sie uns namentlich in den Upanischaden gegenüber-
tritt, die Erlösung f ö r m l i c h zum Mittelpunkt gemacht. In
Wahrheit aber dreht sich alles um sie. Denn durch Versenkung in
die die Welt durchwaltende Gottheit, meist als das Brahman, aber
auch als Atman bezeichnet (die Bedeutung / beider Termini kann
wechseln), gelangt der Mensch zur Erkenntnis der Einheit des
1
Vgl. mein Buch: Kategorienlehre, 2. Aufl., Jena 1939, S. 177 f. [3. Aufl., Graz
1969, S. 164 f.].
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Weiteres darüber unten S. 388 f. Über S ü n d e u n d G e w i s s e n siehe un-
ten S. 119 ff. und 137 f.