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heißt echte Innerlichkeit des Gebetes, nicht äußerliches Worte-
sprechen.
Zu allen Zeiten waren die Menschen in ihren Gebeten einer hohen
Innerlichkeit fähig. Eine Sammlung von Gebeten aus allen Reli-
gionen, welche Friedrich Max Müller vorlegte und aus der wir das
Schönste auswählen, möge das veranschaulichen
1
.
Ä g y p t i s c h e s G e b e t
„Heil Dir, Macher aller Wesen, Herr des Gesetzes, Vater der Götter; Macher
der Menschen, Schöpfer der Tiere; Herr des Getreides, der Du den Tieren des
Feldes die Nahrung bereitest... — Du, der Eine allein ohne einen Zweiten .. .
König allein, einzig unter den Göttern; von vielen Namen, unbekannt ist ihre
Zahl.
Ich komm zu Dir, o Herr der Götter, der Du von Anbeginn existiert hast,
ewiger Gott, der Du alles, was da ist, gemacht hast. Dein Name sei mein Schutz;
verlängere meine Lebensfrist zu gutem, hohem Alter; möge mein Sohn (nach
mir) an meiner Stelle sein; möge meine Würde bei ihm (und den Seinen) immer-
dar bleiben, wie es dem Frommen geschieht, der Herr ist im Haupte seines
Hauses.
Wer bist Du denn, o mein Vater Amon? Vergißt ein Vater seines Sohnes?
. . . Gesegnet ist derjenige, der Dich kennet, denn Deine Taten gehen hervor aus
einem Herzen voll Liebe. ...“
Ein a c c a d i s c h e s G e b e t
O mein Gott, Herr des Gebetes, möge mein Gebet Dich anreden:
O meine Göttin, Herrin der flehentlichen Bitte, möge meine flehentliche Bitte
Dich anreden!
O Mato, Herr des Gebirges, möge mein Gebet Dich anreden!
O Gubarra, Herrin von Eden, möge mein Gebet Dich anreden!
O Herr des Himmels und der Erde, Herr von Eridu, möge meine flehent-
liche Bitte Dich anreden! . . .
O (Erhabene große Göttin, meine Herrin Nana), möge meine flehentliche
Bitte Dich anreden!
(Möge sie zu Dir sagen: „Richte Dein Auge freundlich auf mich.“)
(Möge sie zu Dir sagen: „Wende Dein Angesicht mir freundlich zu.“)
(Möge sie zu Dir sagen: „Es ruhe Dein Herz.“)
(Möge sie zu Dir sagen: „Deine Leber sei beruhigt.“)
(Möge sie zu Dir sagen: „Dein Herz sei erfreut wie das Herz einer Mutter, die
Kinder geboren hat.“)
(„Wie eine Mutter, die Kinder geboren hat, wie ein Vater, der ein Kind er-
zeugt hat, sei es erfreut.“)
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1
Friedrich Max Müller: Theosophie oder psychologische Religion, deutsch von
Moritz Winternitz, Leipzig 1895, S. 13 ff., woselbst auch die Quellennachweise.