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ner Tätigkeit erkennt und so weder die Gnade durch die Freiheit auslöscht, noch

die Freiheit durch die Gnade.

D. S i t t l i c h k e i t

Alle religiösen Werke, welche aus den soeben behandelten Kate-

gorien im Christentum folgen, begründen eine höhere Sittlichkeit

als die Welt bisher kannte. Denn mit der Geistigkeit Gottes findet

das Opferblut ein Ende, mit seiner Einzigkeit und Väterlichkeit der

Krieg der Stammesgötter, welchen auch die ihnen angehörigen Men-

schen führen mußten; mit seiner Vollkommenheit erhielt das Stre-

ben des Menschen nach Gottähnlichkeit und Rechtfertigung eine

früher nicht erreichte sittliche Richtung; aus der zentralen Stellung

der Gottverwandtschaft, der Gotteskindschaft, folgen Gottes- und

Menschenliebe; aus der Sicherheit der Unsterblichkeitsverheißung

folgen der Wert des Lebens und (im Vereine mit der Gottesver-

wandtschaft) der Wert des Menschen; aus beiden folgt innerer Friede,

aus höchster innerer Freiheit die Kraft der Weltüberwindung ohne

Weltverachtung und Welthaß.

Damit ist die sittliche Richtung, welche die christliche Religiosität

einschlägt, von den Kategorien aus gekennzeichnet und das Höchste

erreicht, dessen der menschliche Geist fähig ist.

/

Was bei anderen Religionen einseitig hervortritt, wie z. B. Mitleid

und Geschöpfesliebe im Buddhismus, ist hier harmonisches Glied

eines Ganzen. Nihilistischer Pessimismus mit seinem Welthaß ist

grundsätzlich ebenso vermieden, wie oberflächlicher Optimismus mit

seiner Weltbefangenheit. (Daß in diesen Punkten auch Irrungen im

Laufe der Geschichte des Christentums vorkamen, geht auf Rechnung

der menschlichen Gebrechlichkeit.)

Das Christentum lehrt, so dürfen wir es ganzheitlich ausdrücken,

in seiner Ethik die A l l - R ü c k v e r b u n d e n h e i t . Alle We-

sen sind nicht nur in ihrer Gemeinschaft, sie sind auch, und vorerst,

in Gott befaßt, rückverbunden. Damit kommt der Grundsatz

„Gott wird durch Gott erkannt in der Seele“ auch in der Sittenlehre

zur Geltung.

Da nun alle Wesen, die geringen und die hohen, die guten und die

bösen in Gott rückverbunden sind, verstehen wir daraus auch das

große Wort: „Gott läßt seine Sonne scheinen über Gerechte und Un-