Table of Contents Table of Contents
Previous Page  7334 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 7334 / 9133 Next Page
Page Background

412

[376/377]

Quelle . .. nicht benutzt werden“

1

, so können wir uns das nur aus

Verkennung der Mystik des vierten Evan- / geliums erklären. Wir

müssen antworten: Ganz im Gegenteil! Das Johannesevangelium

ist das echteste und das Hauptevangelium! Seine Mystik ist von

nirgends her ableitbar, sein Tiefsinn und seine Zeichen persönlichster

Vertrautheit mit Jesus und den geschichtlichen Vorgängen sind un-

abweislich, sind nicht zu verkennen. Sein Eingang gibt die Grund-

gedanken einer mystischen Philosophie wieder, die vom Meister

selbst angeregt sind.

B.

Die F l e i s c h w e r d u n g

Das dem neuzeitlichen Bewußtsein Anstößigste ist wohl der Satz

im Johannesevangelium (1, 14) „Und das Wort ward Fleisch...“

Auch um zu einem Verständnis dieser Lehre, der Fleischwerdung

des Logos, zu kommen, bedarf es des Rückganges auf die mysti-

schen Erlebnisse.

In der höchsten mystischen Einung fühlt sich der Mensch der

Gottheit nahe, ja göttlich, „ v o n G o t t g e b o r e n “

2

. Diese

verschwiegene und doch so oft berufene Erfahrung ist das tiefste Ge-

heimnis der Religion, die Achse, um die sich alles dreht. Daher die

Worte: „Ich und der Vater sind eins“

3

, „Wer mich sieht, der sieht

den Vater“ (14, 9): daher auch Petrus zu Christus: „Du hast Worte

des ewigen Lebens“ (6, 68); und dazu das Bekenntnis Christi „Der

Vater ist größer als ich“ (14, 28).

Dies alles liegt demnach in der Richtung jeder hohen mystischen

Innenschau, es folgt aus dem Wesen der Vergottung. Der hohe

Mystiker ist stets und mit Recht überzeugt, aus ihm spreche die

ewige Wahrheit. Aber — und dies kann man nicht genug würdigen

— noch kein Mystiker, von dem die Geschichte erzählt, wurzelte

und lebte je so sicher und tief in den jenseitigen Gründen des Seins,

im göttlichen Leben, daß er von sich im Sinn der Wesensgleichheit

sagte: „Ich und der Vater sind eins“, „Wer mich sieht, der sieht den

Vater“. „Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der

1

Adolph von Harnack: Das Wesen des Christentums, Leipzig 1900, S. 12.

2

Johannes 1, 13.

3

Johannes 10, 30.