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Einleitung

Man kann das Schicksal der Eckehartischen Schriften mit dem der

Aristotelischen vergleichen, welche nach ihres Verfassers Tode jahr-

hundertelang in einem Kellergewölbe verborgen lagen, endlich aber,

ans Tageslicht getreten, aufs nachhaltigste wirkten und seither zum

unwiderruflichen Besitze der Menschheit gehören. Ähnlich traten

auch Eckeharts Schriften nach ihrer kirchlichen Verurteilung im

Jahre 1327 in ein geschichtliches Dämmerlicht, das sich erst seit etwa

hundert Jahren zu erhellen begann. Auch darin gleichen sich beide

Schicksale, daß Aristoteles, angeklagt, nicht lange vor seinem Tode

Athen verlassen mußte und im Auslande starb, wie auch Meister

Eckehart von seinem Wohnsitze Köln nach Avignon ging, um sich

beim Papste zu verteidigen, wo er bald starb.

Ganz verschollen war Eckehart, auch darin dem Aristoteles ähn-

lich, allerdings niemals. Es zeigt sich jetzt, daß mindestens seine deut-

schen Schriften und Predigten im Mittelalter stets eifrig abgeschrie-

ben wurden und sehr verbreitet waren. Quint berichtet von über

220 Handschriften, die er fand

1

. Dennoch wurde später durch das

gewaltsame Ende von Eckeharts Wirken und Schaffen der Glanz

seiner Lehren lange verdunkelt.

Doch es kommt die Zeit und ist schon da, wo er wieder aufs neue

leuchten und seine unversiegliche Kraft erweisen soll. Denn die

Wahrheit dringt durch Himmel und Hölle, es gibt nichts, was ihr

für immer widerstehen könnte.

Grundsätzlich sind Lehren wie die Meister Eckeharts dazu be-

stimmt, mehr im Verborgenen, durch Vermittlung, zu wirken. Sie

sind zu groß, um allen zugänglich zu sein. Unmittelbar, das will sa-

gen von ihrer unmittelbaren Erlebniswurzel her, kann die Weisheit

1

Neue Handschriftenfunde zur Überlieferung der deutschen Werke Meister

Eckeharts und seiner Schule, in: Meister Eckhart, Die deutschen und lateini-

schen Schriften, herausgegeben im Auftrage der deutschen Forschungsgemein-

schaft, Bd 1, Stuttgart 1940, S. IX.