I. Das Leben
Vom Leben Eckeharts wissen wir heute durch den Fleiß und
Scharfsinn philologischer und geschichtlicher Forschung viel mehr,
als man noch vor 100 Jahren wußte. Eckehart entstammte einer
thüringischen Familie von (einem der beiden) Hochheim (bei Gotha
oder bei Erfurt) und wurde etwa 1260 geboren. Wie wir aus der
Überschrift einer alten Handschrift, der „Reden der Unterschei-
dung“, erfahren, wirkte er bereits im 13. Jahrhundert, etwa nach
1290, als „Prior von Erfurt und Vicar von Thüringen“ im Domi-
nikanerorden, in den er wahrscheinlich schon in früher Jugend ein-
getreten war. Der Orden muß ihn sehr hochgehalten haben: denn
1302 erwirbt er in Paris den Magistertitel, woraus folgt, daß er vom
Orden dorthin geschickt wurde. Um diesen Titel zu erhalten, hatte
er schon früher, 1293, an der Pariser Universität über die Sentenzen
des Petrus Lombardus (
1160) Vorlesungen gehalten. Im Jahre
1294 ist er wieder in Deutschland, als Prior des Erfurter Konvents,
wurde 1303 Provinzial der Ordensprovinz Saxonia (das ist ganz
Norddeutschland) und 1307 noch dazu Visitator der Dominikaner-
klöster Böhmens. Aus dieser schon reifen Zeit stammt das „Buch
der göttlichen Tröstung“, welches Eckehart in deutscher Sprache für
die Königin Agnes von Ungarn verfaßte. Die Ordensprovinzen
Sachsen und Böhmen waren ungeheure Gebiete, deren Durchwande-
rung, sei es zu Fuß, sei es zu Pferde, damals eine gewaltige Leistung
war und hohe Anforderungen an das t ä t i g e Leben stellte.
Wie hoch der Orden diese Tätigkeit einschätzte, geht daraus her-
vor, daß Eckehart 1311 zum Ordensprovinzial für die süddeutsche
Dominikanerprovinz gewählt, jedoch vom Ordensgeneral zum
zweitenmal als Magister an die Pariser Universität berufen wurde,
wo er 1311—1313 lehrte und die Entwürfe für sein großes „Opus
tripartitum“, das „Dreiteilige Werk“, und seinen „Johanneskom-
mentar“ verfaßte. Nach 1313 ist er wieder in Deutschland tätig, und
zwar zuerst in Straßburg als Prior und Seelsorger für die ober-
deutschen Dominikanerinnen; später, etwa seit 1323, wurde er