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In unserer Zeit, besonders im späten Abendland, ist eine starke

Hinneigung zum mystischen Leben spürbar, andererseits wird jede

Mystik ob ihrer Unwissenschaftlichkeit abgelehnt. In der Wissen-

schaft tritt das reflektierende Denken in den Mittelpunkt, während

mystisches Erleben und Erfahren unreflektiert vor sich gehen. So

wenigstens meint es die Wissenschaft. Nun ist aber das Mystische die

Grundlage jeder geistigen Arbeit überhaupt, wie Spann überzeugend

nachweist; ohne mystische Grundlage gäbe es keine Wissenschaft,

denn echte Wissenschaft ist nur möglich, wenn sie mystisch — das

heißt: in der Eingebung — verankert und gegründet ist. Im Mysti-

schen ist jener Rest des Göttlichen erhalten, ein Rettungsanker,

den Gott dem Menschen bietet, eine Brücke, die die Verbindung her-

stellt und damit Mensch und Welt überhaupt möglich macht. „Ohne

den mystischen Grund alles geistigen Lebens und insbesondere des

Erkennens müßte die Welt unserem Geiste in eine Vielheit ausein-

anderfallen, die wir uns nicht aneignen könnten“, formuliert Spann

(Bd 16, 54).

Es gibt aber auch keinen Gegensatz zwischen Schauen und Handeln.

Meister Eckehart ist das Beispiel dafür. Das heißt, die Mystik be-

wirkt nicht unmittelbares soziales Handeln, aber mittelbar gestaltet

und wirkt sie auf das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft ein.

Vom Standpunkt der Religion noch einen letzten Einwand: die

Vermischung von Schöpfer und Geschöpf. Echte Mystik bewirkt

nicht, daß Schöpfer und Geschöpf eins werden, das wäre Pantheis-

mus. Die höchste Vereinigung ist nach Aussage aller Mystiker: „die

innigste Überformung der Seele mit ihrem Grunde, welcher Gott ist,

doch kein reales Untergehen und Verlorengehen der Seele in Gott“

(Bd l6, 60). Die Upanishadenstelle, die Spann anfuhrt, spricht es deut-

licher aus: „Sie (die Seele) geht ein in das höchste Licht und tritt

hervor in eigener Gestalt“ (Bd 16, 60 f.). Die Vereinigung ist daher

nur bildlich, analog, das heißt, Gott und Mensch sind nicht identisch,

sondern in der mystischen Schau ruht der Mensch im Grunde des

Einen.

Schon bei Platon finden wir eine Anweisung zu einem mystischen

Leben. Nach Platon gibt es zwei Wege zum Höchsten, Letzten, Einen.

Der eine ist rational, ein mühsamer Denkweg, anstrengend, voller

Klippen, bis sozusagen plötzlich durch das Denken über das Denken