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Wie aber sollte dem Menschen ein Mitspielrecht verliehen sein an
dem, was ja längst vergangen und entschwunden ist? Einen deut-
lichen Hinweis für die Beantwortung dieser Frage gibt Spann schon
im ersten Satze seiner Geschichtsphilosophie, in dem er das Wesen
der G e s c h i c h t e darlegt als die G e g e n w a r t d e r V e r -
g a n g e n h e i t . In ein Vergangen-Gegenwärtiges, damit aber doch
irgendwie Gegenwärtiges hineinzuwirken, ist eine Tat, die selbst
unseren kausallogischen Denkgesetzen nicht ganz unverständlich ist.
Die eigentliche Antwort muß freilich noch in Schwebe bleiben.
Vorerst erheischt die Auffassung der Geschichte als Gegenwart der
Vergangenheit eine Begründung. Diese ist schon enthalten in dem
Wortspiele, mit dem wir sagen können: G e s c h i c h t e i s t
e t w a s G e s c h i c h t e t e s . Sie bewegt sich in einem Medium,
der Z e i t , in dem sie nicht etwa hnear fortschreitet, welches
vielmehr selbst innerlich gestuft und geschichtet ist. Es geht also
darum, das innere Gefüge dieses Mediums und damit zugleich das der
Geschichte bloßzulegen. Und eben dieses ist recht eigentlich das
Geschäft der Geschichtsphilosophie. Sie wird dadurch vorzüglich zu
einer Gefügelehre, das aber heißt: zu einer geschichtlichen Kate-
gorienlehre. So wenigstens verlangt es die ganzheitliche Konzep-
tion Spanns.
Die meisten der überkommenen Geschichtsphilosophien legen den
Schwerpunkt nicht auf eine Gefügelehre, sondern auf eine h i s t o -
r i s c h e K o n s t r u k t i o n . Sie lehren nicht, wie es in der
Geschichte sein k a n n , sondern, wie es (ihrer Auffassung nach)
sein s o l l . Nicht das Gefüge, sondern der Gang der Geschichte ist
ihr eigentliches Anliegen. Da aber der Ablauf nur innerhalb eines
Gefüges vor sich gehen kann, hat die geschichtliche Kategorienlehre
den Vorrang vor jeder historischen Konstruktion! Die ganzheitliche
Geschichtsphilosophie ist die einzige, die diesen Vorrang streng
beachtet, ja ihn erst ausführlich begründet und so überhaupt erst in
das innere Gefüge der Geschichte wahrhaft hineinzuleuchten im-
stande ist. In dieser Hinsicht hat sie in der Geistesgeschichte nicht
ihresgleichen!
Bevor wir nun diese einzigartige Bedeutung der ganzheitlichen
Geschichtsphilosophie näher betrachten, müssen wir noch ihre
Stellung innerhalb des Spannschen Gesamtwerkes aufzeigen. Sie