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faltet sich („Philosophenspiegel“, Bd 13, 14 ff.) auch das Gedanken-
gebäude jeder Philosophie. Und erst ein tieferes Geisterlebnis, durch
welches ein Gedankengebäude die ursprüngliche Grundhaltung ver-
tieft und neu gestaltet, vermag mit der Klarheit der Vernunft den
Menschen innerlich zu wandeln. Der von der „Barmherzigkeit und
Güte“ Gottes enttäuschte Mensch muß immer wieder erfahren, daß
Gott kein (den Einzelnen) Strafender und Belohnender ist, daß viel-
mehr für die göttliche Gerechtigkeit die Schöpfung als Ganzheit
über den einzelnen Geschöpfen steht, daß, wie es für den Menschen
(nicht zehn, sondern) ein oberstes Gebot gibt (das erste), so auch
Gott in seiner Schöpfung ein höchstes Prinzip als das herrschende
eingesetzt hat: die als Garant der kosmischen Harmonie unbestech-
liche ganzheitliche Weise der E n t s p r e c h u n g .
Nicht das religiöse Gefühl, sondern nur das klare Licht der (seinem
Ebenbilde von Gott verliehenen) Vernunft vermag dem Menschen
„Rechenschaft“ zu geben über alles Nicht-sein-Sollende dieser Welt.
Es hat seinen Grund nicht in einem Mangel seines Schöpfers oder
darin, daß es einen solchen nicht gibt, oder in einem „göttlichen
Finstergrunde“, sondern vielmehr darin, daß er seinem Ebenbilde
eben das Höchste an Ebenbildlichkeit schenkte, das er zu geben
hatte, das Göttlichste am Göttlichen: die F r e i h e i t ! Daß der
gott-ebenbildliche Mensch gerade durch sie in den heutigen Stand
seiner Unfreiheit gesunken ist, ist nicht die Tat Gottes, sondern der
Mißbrauch seiner höchsten Liebe und Güte durch den Menschen. Daß
nun alle dafür büßen müssen, ist ein unerschütterliches Weltgesetz.
Wir können es nicht ändern, sondern nur zur Kenntnis nehmen als
einen unerbittlichen Grundzug einer bis in das innerste Gefüge
g a n z h e i t l i c h e n Weltordnung. Dies besonders herauszustellen,
ist der Grund für unsere abschließenden Gedanken.
Daß die gefallene Welt nicht die beste aller Welten ist, sondern
eine, in welcher das Böse und Unholdische immer wieder bedrohlich
sein Haupt erhebt, spricht aus den Worten Spanns, die er seiner
Geschichtsphilosophie vorausschickt: „Der Mensch empfindet zu-
gleich Grauen und Hingabe beim Anblicke der Geschichte. Grauen,
denn sie ist der Moloch, der alles verzehrt, der Abgrund, der alles
verschlingt. Hingabe, denn sie zieht ihn zugleich mit unwiderstehlicher
Gewalt an“ (Bd 12, 5).