344
knüpfung an die große Tradition der Philosophie, Gesellschafts- und
Staatslehre: z. B. an die platonische Eroslehre und an die aristote-
lische Lehre vom Ganzen, das vor dem Teile ist.
I. Die ganzheitliche Lehre von Wesen und Bau der Gesellschaft
A . D a s W e s e n d e r G e s e l l s c h a f t
Angesichts des Ausganges von der geistigen Gemeinschaft der Ge-
zweiung stellt sich die Gesellschaft als eine unendlich bunte Fülle
solcher kleiner Einheiten dar, die aber jeweils in höhere geistige und
handelnde Zusammenhänge befaßt sind. Trotzdem ist die Gesell-
schaft alles andere denn ein chaotischer Haufen, vielmehr ist Gesell-
schaft geistige und handelnde Ganzheit; ist Einheit und Gleichartig-
keit des Geistes und des Handelns. Allerdings nicht Einheit und
Gleichartigkeit schlechthin, sondern Einheit, die in sich Verschieden-
heiten trägt; Gleichartigkeit, die Ungleiches befaßt, verhältnismäßig
Ungleiches.
Alle Ganzheit stellt sich in Teilganzen, Unterteilganzen und Glie-
dern dar; ferner in Stufen und Unterstufen. Ähnlich wie der Körper
in Organsystemen, Organen und ihren Zellen — allerdings gilt vom
Bilde des „organischen“ Aufbaues der Gesellschaft, daß Gesell-
schaft eine andere Art von Ganzheit ist als die biotische Ganzheit des
Leibes.
Gegenstand der Gesellschaftslehre sind geschichtliche Gesell-
schaften, und zwar vor allem jene mit der reichsten Fülle geistiger
Gemeinsamkeit und verhältnismäßiger Geschlossenheit des Handelns,
nämlich die Volkstümer und Kulturkreise.
Jede geschichtliche Gesellschaft zeigt nun folgende große L e -
b e n s k r e i s e :
(1) Die geistursprünglichen Teilganzen: das sind Religion, Philo-
sophie, Wissenschaft, Kunst.
(2) Den Bereich der Sinnlichkeit oder Vitalität.
(3) Die Teilganzen der Wiedervervollkommnung und Wertbe-
stimmung: Sittlichkeit und Recht.
(4) Die abgeleiteten geistigen Teilganzen, z. B. Freundschaft und