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3. Gesellschaft als dezentralistisches Gefüge
Aus allen entwickelten Gesetzmäßigkeiten des Standes — nämlich
Selbstverwaltung, Organisationszwang und Einzigkeit, ständische
Erziehung, besonders des standtragenden Menschenkreises; ferner
Eigenwurzeligkeit, Eigenleben und Sachsouveränität der Stände —
folgt das d u r c h u n d d u r c h d e z e n t r a l i s t i s c h e
G e f ü g e d e r G e s e l l s c h a f t .
D i e s e E r k e n n t n i s , daß das Gefüge jeder Gesellschaft
wesenhaft dezentralistisch sei, ist der s t ä n d i s c h e U r -
g e d a n k e : Ihm zufolge tritt das Gesamtganze einer Kultur in
arteigenen Lebenskreisen, in Ständen geschichtlich in Erscheinung.
Daher ist die normgemäße Verfassung einer Gesellschaft ständisch —
wie verschieden sich dies auch im einzelnen geschichtlich darstellen
möge.
II. Die ganzheitliche Lehre vom Staate
A . A u f g a b e n d e s S t a a t e s
Aus dem ganzheitlichen Begriffe des Standes und des dezentra-
listisch-ständischen Gefüges der Gesellschaft folgt:
Der Staat ist weder die Summe der Bürger,
noch die Summe der Stände,
noch die einzige Organisation des gesellschaftlichen Lebens.
Der Staat ist vielmehr eines unter anderen organisatorischen
Gebilden der Gesellschaft. Er ist ein Stand, und zwar ein handelnder,
organisierter Stand. Er ist Vollstand.
Der Staat ist aber nicht nur Stand unter anderen Ständen, also ein
Lebenskreis mit arteigenen Verrichtungen neben anderen solchen
Lebenskreisen mit arteigenen Verrichtungen. Er ist vielmehr — im
Bereiche des gesellschaftlichen Handelns — Stand ü b e r den Stän-
den — er ist oberleitender oder Höchststand.
Das rührt zum Teil aus der Eigenart seiner Verrichtungen, be-
sonders als Träger der Außenpolitik, aber auch daher, daß er zu den
Einheitserscheinungen der Gesellschaft gehört.