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Lebensinhaltes der mittelalterlichen Kultur darstellte, dem Staate
dieses Recht des Höchststandes streitig gemacht: im Kampfe zwischen
Kaiser und Papst. Im abendländischen Kulturbereiche wurde dieser
Anspruch der Kirche jedoch zurückgewiesen.
(3) Der Staat hat aushelfende oder supplierende Aufgaben.
Wo die untere Stufe versagt, muß die höhere einspringen; wo
die Gesamtstände versagen, muß der Staat die vernachlässigte Auf-
gabe übernehmen. Als eine radikal individualistisch-kapitalistische
Wirtschaft ihre sozialpolitischen Aufgaben vergaß, mußte die staat-
liche Sozialpolitik eingreifen. Angesichts ihrer Krise im heutigen,
übermäßig zentralistischen Staate läge es nahe, solche Aufgaben dem
Wesen der Sache gemäß wiederum auf jene Träger zu übertragen,
denen sie normgemäß zukommen.
B . V o n d e r W ü r d e d e s S t a a t e s
Diese nüchterne Wesensbestimmung des Staates: Stand mit art-
eigenen Aufgaben (Stand n e b e n anderen Ständen) und Höchst-
stand (Stand ü b e r den Ständen) — vermag wohl schwerlich der
Würde des Staates, seiner schicksalsträchtigen Macht, seiner Ge-
schäftsführerschaft in der Geschichte gerecht zu werden.
Es ist aber zu bedenken:
daß der Staat immer Vollstand ist, also durchgängig organisierter
Stand. Er ist entweder in Verfassung, oder er hat eine Verfassung;
daß dem Staate die ganze Fülle des Geistursprünglichen zugrunde
liegt und er, wenigstens im Regelfalle, dieses Geistursprüngliche auf
hoher Stufe, nämlich auf jener des Volkstums, darlebt;
daß ihn ein geschichtlicher Gründungsakt und in dessen Entfaltung
ein staatsgestaltender Gedanke prägt;
daß er mehr als andere Stände durch einen Menschenkreis getragen
wird, auf dem große geschichtliche Verantwortung lastet;
daß er der Schöpfer und Hüter des Rechtes als einer weiteren
bedeutenden Einheitserscheinung der Gesellschaft ist und als solcher
Wahrer des Eigenlebens und der Rechte seiner Bürger.
Noch deutlicher tritt aber des Staates Würde hervor, wenn wir uns
nochmals auf die ganzheitliche Lehre vom organisierenden Handeln