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besinnen. Organisierendes oder veranstaltendes Handeln ist mehr als
Regieren und Verwalten. Es ist mehr als bereits Vorhandenes Ordnen.
Es bedeutet geistige Latenz verwirklichen: etwas hervorreizen, das
ohne dieses veranstaltende Handeln nicht konkrete geschichtliche
Wirklichkeit annähme. Taten und Mächten Weg bahnen, die ohne
dieses Staatsgeschehen ungeschehen blieben. Spann erinnert bei
seiner Kennzeichnung des organisierenden, veranstaltenden Handelns
an das Wort „Stiften“ und an die Tatsache, daß große geschichtliche
Gestalten den Beinamen „Stifter“ erhielten.
Z u s a t z : D e r s t a a t s t r a g e n d e M e n s c h e n k r e i s
Daß der Staat sich auf die Dauer oder lange Dauer vor dem Richter-
stuhle der Geschichte bewähre, hängt nicht zuletzt davon ab, ob er
und der ihn t r a g e n d e M e n s c h e n k r e i s der Ver-
suchung des Machtmißbrauches zu widerstehen vermögen, des Miß-
brauches der Macht, die ihm seinem Wesen und seiner Aufgabe ge-
mäß — innen- und außenpolitisch — gegeben ist und die zu miß-
brauchen menschlich und geschichtlich so naheliegt. Die Menschen
sind keine Engel, und die Geschichte ist kein Paradiesesgarten.
Bezüglich des den Staat tragenden Menschenkreises — also jener
Schicht, die Staatsleistungen verrichtet, wenigstens aktiv-führend
verrichtet und die in den verschiedenen Geschichtsepochen, Völ-
kern und Kulturkreisen auf verschiedene Weise entsteht — gilt:
daß er seine Stellung nicht als Privileg aufzufassen habe, vielmehr
als Dienst, als Verpflichtung, sich für den staatsgestaltenden Ge-
danken zu verzehren und die Würde des Staates vor der Geschichte
zu wahren.
Es sei hier an das Wort Arnold Gehlens erinnert: „Das Wunder-
werk eines hochdifferenzierten und zugleich unnachgiebigen Ethos
ist übrigens im Anfang stets das Zuchtresultat kleiner und überseh-
barer Gemeinschaften. Es verliert auch diese Anfangsbedingung nie
ganz. Man kann breite Massen mit Gesinnungen überfordern“
4
. Man
4
Arnold Gehlen: Urmensch und Spätkultur, Frankfurt/Main 1956, S. 72.