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lich die Individualität als Selbständiges vernichten, können
universalistisch gezogen werden, sie müssen es aber nicht!
Das I n d i v i d u u m dagegen erscheint nun, umgekehrt wie beim
Individualismus, als eine A b s t r a k t i o n , als dasjenige, was in
innerer Isolierung (das ist als absolut Selbständiges) nicht möglich ist.
Robinson z. B. ist nun nur als ein geistiges schon vor der Aussetzung
Gewordenes, durch Gesellschaft Gewordenes denkbar. Robinson
erscheint gewissermaßen als Konservierung, weniger als
Hervorbringung von Geistigkeit. Der Einsiedler ferner ist nur, indem er
gleichsam in Gesellschaft mit Gott-Natur ist. So betrachtet, ergibt / sich
das Individuum als ein I n b e g r i f f n o c h g e b u n d e n e r
K r ä f t e , welche das Ganze erst wecken und nähren muß. Diese
gebundenen Kräfte müssen erst in dem g e i s t i g e n P r o z e ß ,
d e r z w i s c h e n d e n I n d i v i d u e n s t a t t f i n d e t — das
Wesentliche und Eigentliche am „Ganzen“, an der „Gesellschaft“—,
freigemacht werden. Dieser geistige Prozeß ist jenes Überindividuelle,
jenes wahre Moment der „Ganzheit“, das den individualistischen Begriff
des absoluten Individuums einerseits zunichte macht, andererseits das
Lebenschaffende, Auf erweckende, Losbindende für den individuellen
Geist enthält und so das Individuum als Teil der Gesellschaft entstehen
läßt.
Um nun wieder ein kurzes S t i c h w o r t für das Wesen des
Universalismus zu suchen, so möchte ich (zunächst von der Seite des
Individuums her) sagen: Das Wesentliche ist nicht Selbstsein des
Individuums, sondern Selbstsein durch Sein im andern. Mein eigenes
geistiges Sein ist, indem es in einem anderen geistigen Sein ruht. Das
Sein des Einzelnen realisiert sich erst durch geistige Einwurzelung und
Verankerung im anderen.
Selbstsein durch Sein im anderen — das ist Sein gleichwie der Ton
in der Harmonie und Abstimmung, gleichwie das Glied im Organismus,
gleichwie der Blitz zwischen Wolken.
Noch von einer anderen Seite her müssen wir ein Stichwort suchen,
von seiten des Lebens der kollektiven Gesamtheit her. Für mich hatte
immer etwas Erschütterndes die chaldäische Vorstellung, daß das Chaos
zum Teil noch fortbestehe, da die Erde auf einem gähnenden Abgrund
chaotischen Wassers ruhe, das durch finstere Verschläge mit
riesenhaften Toren verhindert werde, die Welt zu über