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Z e h n t e r A b s c h n i t t

Schlußbemerkung über die Einwände, welche gegen die

Berechtigung der Unterscheidung von Individualismus

und Universalismus als Wesenstheorien der Gesellschaft

erhoben werden. Das Schrifttum

1. Einwand: Der Gegensatz zwischen Individualismus und Uni-

versalismus sei kein gesellschaftstheoretischer, sondern ein solcher

der Weltanschauung.

Wir haben dieses Einwandes schon früher gedacht

1

, müssen aber nochmals

darauf zurückkommen.

Gemäß dem rein induktiven, ja kasuistischen Zuge aller Wissenschaften

unserer Zeit und gemäß dem falschen Ehrgeiz der Gesellschaftslehre, Natur- /

Wissenschaft zu sein

2

, wurde die ganze naturalistische Gesellschaftslehre von der

Ansicht beherrscht, es käme nur auf die Summierung und wissenschaftliche Ver-

arbeitung von Tatsachen der Erfahrung an — eine weitere Besinnung über das

Verfahren sei überflüssig. Wir haben oben gezeigt, wie aus diesem Standpunkt

die vielen soziologischen Schulen, die organische, mechanische, psychologische und

so fort entstanden.

Dieser Standpunkt schließt die Ablehnung der Grundunterscheidung Indivi-

dualismus—Universalismus in sich. Seit die erste Auflage des vorliegenden Werkes

erschienen ist, ist daher immer wieder geltend gemacht worden: der Gegensatz

von Individualismus—Universalismus sei überhaupt kein theoretischer.

Die meisten Verfasser schöpfen ihre spärlichen Kenntnisse über diesen Gegen-

stand aus dem Artikel „Individualismus“ von Heinrich Dietzel im Handwörter-

buch der Staatswissenschaften

3

. Dieser behauptet, der Gegensatz sei ein sittlicher

und solcher der Weltanschauung, daher schließlich ein politischer — außerdem

praktisch wertlos, weil eigentlich beide Richtungen dasselbe Ziel wollen, nur auf

verschiedenen Wegen. Dietzel, mit seiner konfusen Einteilung der Lehrgebäude,

kommt daher auch ungefähr zu dem Ergebnis, daß tatsächlich beide Richtungen

in allen praktischen Lagern vertreten wären! (Noch schlimmer Karl Diehl, der

die praktischen Forderungen zum Einteilungsgrunde macht, also die Folge mit

dem Grunde verwechselt.) Demgegenüber wurde oben wiederholt darauf hinge-

wiesen, daß Einzelheits- und Ganzheitslehre rein zergliedernd gefundene und

nur rein zergliedernd zu findende Wesenserklärungen der Gesellschaft sind; daß

1

Siehe oben S. 217.

2

Siehe darüber oben S. 21 ff.

3

Heinrich Dietzel: Individualismus, in: Handwörterbuch der Staatswissen-

schaften, jetzt 4. Aufl., Jena 1923, S. 408 ff.