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dem er sie sich nun aus der Gestaltung der Gesellschaft heraus stellt.
So ist die scheinbar äußerlich, scheinbar umweltlich bedingte Auf-
gabenstellung der Gesellschaft an die Wissenschaft nur eine Wieder-
kehr des gesellschaftlichen Geistes zu sich selbst, eine Wiederkehr
jener Aufgaben, die sich die Gesellschaft in den übrigen Ganzheiten
des Lebens stellt, ein K r e i s l a u f s e i n e s e i g e n e n g e i -
s t i g e n B l u t e s . Auch die an den Einzelnen „von außen her“
kommenden Entstehungsgründe der Wissenschaft enthalten so in
ihrem Kerne immanente Entwicklungskräfte. Die Gesellschaft ist
dabei weder „Fatum“ noch „Umwelt“, sondern eine höhere geistige
Einheit, die sich ihren Teilinhalt (unter anderem durch Aufgaben-
stellung) zuartet, eingliedert.
Den allgemeinen Vorrangsgesetzen gemäß hat die m e t a -
p h y s i s c h - r e l i g i ö s e A u f g a b e n s t e l l u n g d e n V o r -
r a n g v o r a n d e r e n A u f g a b e n s t e l l u n g e n . Die reli-
giöse Artung einer Kultur ist der oberste Gestaltungsgrund der
Wissenschaft
1
.
Z u s ä t z e
(i)
V e r h ä l t n i s d e s B e g r i f f e s d e r A u f g a b e n s t e l l u n g z u r
m a r x i s t i s c h e i n g e s t e l l t e n W i s s e n s c h a f t s - S o z i o
1
o g i e. Das
marxistische Denken, welches die jeweilige Wissenschaft einer geschichtlichen Zeit
für die „Ideologie“ der herrschenden Klasse erklärt, nämlich für den wechseln-
den „Überbau“ (z. B. Wissenschaft, Kunst, Religion, Recht), der auf einem
„Unterbau“ (der Wirtschaft) errichtet wird, erklärt damit die Wirtschaft für die
„unabhängige Variable“, das Wissen für eine „abhängige Variable“. Diese Auf-
fassung des Wissens hat die gesamte naturalistische Soziologie, auch jene, die
nicht marxistisch ist, beeinflußt. Gewöhnlich geschieht das in der Weise, daß die
„ A u s w a h l d e s W i s s e n s “ als durch die „Interessen der herrschenden
Klassen“ bestimmt angesehen wird, wie es mehr oder weniger offen z. B. der
„Pragmatismus“
2
tut. — Dieser Fehlansicht muß entschieden entgegengetreten
werden. Unser Begriff der „Aufgabenstellung“ besagt etwas ganz anderes. Gewiß
wird die Wissenschaft in der Auswahl ihres Stoffes, in der Richtung ihrer Ent-
wicklung wesentlich durch die Aufgaben mitbestimmt, die ihr von den anderen
Lebensgebieten der Gesellschaft her gestellt werden. Wenn man aber festhält,
daß es ein und d e r s e l b e
o b j e k t i v e G e i s t
d e r G e s e l l s c h a f t
i s t , welcher auf dem einen Gebiete eine bestimmte Entwicklung vornimmt, um
auf einem anderen gleichgesinnten Entsprechungen und Fortsetzungen zu finden,
dann versteht man, daß in diesen durch die „Aufgabenstellung“ eingeleiteten
gleichsinnigen Entsprechungen nicht jene äußerliche „Abhängigkeit“ der Wissen-
schaft beschlossen liegt, die Marxismus und Pragmatismus sehen wollen, sondern
daß in ihnen nur die Einheit des objektiven Geistes gewahrt wird. Die Aufgaben-
1
Vgl. unten S. 428 f.
2
Siehe oben S. 334 f.