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Stellung ist der Ausdruck der Entsprechung der Teilinhalte der Gesellschaft, die
e i n e h ö h e r e E i n h e i t miteinander bilden.
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(2)
Das V e r h ä l t n i s z u r n a t ü r l i c h e n U m w e l t (Klima, Boden)
ist in jenem Kreislauf allerdings nicht mit eingeschlossen. Hier erwachsen ur-
sprüngliche, nicht vom Menschen abgeleitete Antriebe. Dennoch können auch
sie nur wirksam werden, soweit sie sich in unsere Ziele (die ja nur zum gering-
sten Teile durch die Vitalität f e s t g e l e g t sind), in unsere Handlungen, geisti-
gen Lebensziele einordnen. Dies übersieht die „Anthropogeographie“, welche die
Menschen allzusehr als „Raumvolk“ auffaßt; ähnlich die sogenannte „Geopolitik“.
Den Kern solcher Anschauung bildet die Armeleutetheorie, daß der Mensch nur
vom Essen lebe, während sie die selbständige g e i s t i g e Schöpfung, die in der
Wirtschaft steckt, nicht sieht und veranschlagt.
(3)
Von diesem Standpunkte aus sind die üblichen Redensarten von der „B e-
d e u t u n g d e r W i r t s c h a f t “ für die Entwicklung der Wissenschaft, der
t e c h n i s c h e n W i s s e n s c h a f t e n f ü r d i e W i r t s c h a f t , zu beur-
teilen. Stellt sich die Gesellschaft im wirtschaftlichen Leben bestimmte Aufgaben,
so ist es nur logisch geboten, diese Aufgaben im wissenschaftlichen Bereiche
nicht außer acht zu lassen. Wenn man z. B. bedenkt, wie viele Anstöße die Ent-
wicklung der K r i e g s t e c h n i k
1
(also das Gegenteil von Wirtschaftstechnik)
gegeben hat, so wird man am deutlichsten einsehen, daß nicht eigentlich der
Krieg, die Wirtschaft usw. die Wissenschaft entwickelt, sondern daß es dieselbe
geistige Richtung des Lebens war, die sich hier (z. B. im kriegerischen Tun)
kriegstechnischer, dort wissenschaftlicher Wege bediente, um zu bestimmten Zie-
len zu gelangen. Genau im gleichen Verhältnisse stehen aber auch die Aufgaben,
welche z. B. der Physiologie, der Medizin gestellt werden.
(4)
Die W i r k l i c h k e i t s w i s s e n s c h a f t e n , die mit dem Leben
mehr verknüpft sind, kennen die Gesellschaft als Aufgabenstellerin mehr als die
reinen Geisteswissenschaften, besonders die philosophischen Wissenschaften. Hier
ist der Weltlärm nicht mehr so deutlich herüberzuhören. Daher uns die indischen
Weisen, Platon, Eckehart und die deutschen Klassiker im letzten Grunde dasselbe
zu sagen haben.
(5)
Die P f l e g e d e r W i s s e n s c h a f t a n e i n e e i g e n e „ K l a s s e “
z u b i n d e n , wie das nach marxistischer Denkweise immer wieder versucht
wird, geht nicht an. Man darf den Begriff der Wissenschaft nicht so ausschließlich
v e r s t a n d e s m ä ß i g und den Bestand der Wissenschaft auch nicht so rein
b e t r i e b s m ä ß i g fassen, wie wir Heutigen das von der Aufklärungszeit her
gewohnt sind. Die förmliche Wissenschaftsindustrie an den Hochschulen, das
Fachbeamtentum in Form der Professuren erschöpft den Tatbestand der Wissen-
schaft nicht. Im tiefsten Sinne ist nur das geschichtliche Wissenschaft, was als
wirksames Erkenntnisgut in den gesellschaftlichen Geistesgang eingeht. D i e
H e r v o r b r i n g u n g d e s E r k e n n t n i s g u t e s i s t v o r a l l e m d e n
s c h ö p f e r i s c h e n G e i s t e r n a n v e r t r a u t , das heißt jenen, die dazu
begabt sind, nicht einer „Klasse“. Es ist erst eine Frage zweiter Ordnung, welche
gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung diese schöpferischen Menschen in den
jeweiligen Gesellschaftsordnungen einnehmen und welche Form als Stand und
Beruf (nicht „Klasse“) ihnen jeweils zugemessen wird. (Wesensgemäßester /
Lösungsversuch; in Platons Staat; im Mittelalter; in jedem theokratischen Staate.)
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Vgl. Ferdinand Tönnies: Die Entwicklung der Technik, Soziologische Skizze,
in: Festgaben für Adolph Wagner zur siebzigsten Wiederkehr seines Geburts-
tages, Leipzig 1905, S. 130.