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Die innere Befreiung und Erhöhung des individuellen Geistes in

seinen religiösen, philosophischen, moralischen, künstlerischen Kräf-

ten spiegelt sich in der Gesellschaft wider durch die gleichen Wir-

kungen, welche der Stand der Wissenschaft auf den Stand aller an-

dern Kulturinhalte (Religion, Kunst usw.) ausübt.

Zurechtfindung und Verwertung ist nur die K e h r s e i t e d e r „ A u f -

g a b e n s t e l l u n g“. Darum sind es auch, wie sich früher schon zeigte, die-

selben geistigen und praktischen Beziehungen, welche als „Aufgabenstellung“

scheinbar von außen her kommen, in Wahrheit aber nur von einer anderen

Gegend des menschlichen Geistes zur Wissenschaft zurückkehren. Wenn Moral,

Kunst, Religion usw. der Mitwirkung logischer Kräfte, gewisser Einsichten und

Wahrheiten bedürfen, treten diese Erfordernisse als gestellte Aufgabe an das

wissenschaftliche Denken heran.

Über die Zurechtfindungs- und Verwertungsleistung hebt sich

aber die Wissenschaft weit hinaus in ihrer Eigenschaft als höchster

Inhalt menschlichen Geisteslebens, als K u 1 t u r i n h a l t, der sei-

nen Wert in sich selbst trägt. E r k e n n t n i s i s t n i c h t n u r

p r a k t i s c h v e r w e r t b a r , s o n d e r n i n s i c h s e l b s t

e i n W e r t . Wissen ist nicht nur Macht, W i s s e n i s t W e i s -

h e i t . „Wissenschaft ist ein Schmuck in glücklichen und eine Zu-

flucht in unglücklichen Tagen“, sagt Aristoteles. Als innerer

Schmuck und innere Zuflucht, als die Stätte schauenden Lebens, als

Wertschöpfer und Weisheit erreicht die / Wissenschaft ihre höch-

ste Leistung. Von dieser Seite haben wir ihr Wesen bereits betrach-

tet

1

.

E.

Die G e s e l l s c h a f t l i c h k e i t d e s w i s s e n s c h a f t -

l i c h e n D e n k e n s s e l b s t

Alles Denken wird, wie schon festgestellt, als Unterscheidung des

Gewußten vom Subjekt (wodurch das Gewußte zum Objekt wird)

durch einen Konzentrationsvorgang des Geistes vollzogen, der aber

ohne Gezweiung nicht möglich ist. Daher macht sich u n m i t t e l -

b a r im Aufbau des wissenschaftlichen Denkens selbst ein verge-

meinschaftendes Moment geltend: in der vorweggenommenen An-

teilnahme anderer, in der Tatsache der Erörterung und Wechsel-

1

Siehe oben S. 342 f.