344
[283/284]
faßt und sich in ihm gestaltet, dann macht Wissen gut. So findet der
Gegensatz „Wissen macht gut“ und „Wissen vermag nicht gut zu
machen“ seine Auflösung. Der Jünger der Wissenschaft muß vom
Famulus zum Faust vorwärtsschreiten. Es ist ein höheres, ein inne-
res Leben, zu dem die rechte Wissenschaft hinführt, so daß der in
diesem Sinne Gebildete ein glücklicherer und edlerer Mensch ist als
der Ungebildete. Er ist in den Himmel geistigen Lebens gelangt, in
welchen der andere nicht gelangen konnte.
Wird der schauende Bestandteil, der allem Denken, aller Wissen-
schaft innewohnt, recht gewürdigt, dann ergibt sich auch die Un-
wahrheit eines andern, tief eingewurzelten Vorurteils unserer indi-
vidualistischen Zeit. Das W i s s e n i s t n i c h t d a s r e i n
V e r s t a n d e s m ä ß i g e , Rationale, für das es gehalten und als
das es wegen der angeblichen Unpersönlichkeit und Objektivität,
die daraus folgen soll, gepriesen wird. Vielmehr hat die Wissenschaft
als eigentlichsten und schlechthin unentbehrlichen Bestandteil die
Nachbildung eines Wirklichen und Wesenhaften in sich und ist
auf diese Art im tieferen Sinne des Wortes objektiv, gegenständlich,
wesenhaft. Es ist ein G r u n d i r r t u m ,
d a s
W i s s e n
a u s s c h l i e ß l i c h a l s e i n e T a t d e s r e f l e k t i e r e n -
d e n V e r s t a n d e s z u f a s s e n , als eine bloß „intellektuelle
Funktion“, ein Grundirrtum, an dem namentlich unsere gesamte
neuzeitliche Erziehung leidet. Wissen und Wissenschaft sind Ausfluß
des ganzen Menschen.
Diese Tatsache ist namentlich für die Gesellschaftswissenschaft, welche (im
Unterschiede von der Naturwissenschaft) überall zum Wesen ihres Gegenstandes
vorzudringen vermag, von entscheidender Wichtigkeit. Fichtes Wort: / „W a s
für ein M e n s c h m a n i s t , s o e i n e P h i l o s o p h i e h a t m a n“,
gilt auch für die gesellschaftlichen Wissenschaften. Das heißt aber nicht, daß man
diese dem Subjektivismus und der zufälligen Natur des Forschers ausliefere, denn
der Gehalt und sittliche Wert einer Persönlichkeit unterliegt ebenso wenig will-
kürlicher Beurteilung wie ihr Reichtum, ihre formallogische Erkenntnisfähigkeit,
ihre Aufnahmefähigkeit des Realen.
Ferner ist darum die Wissenschaft auch noch nicht der Kunst gleichgestellt,
weil auch die Kunst auf dem Schauen, der Intuition, beruhe. In der Kunst nimmt
der Geist eine ganz andere Richtung, indem er das Geschaute als G e s t a l t
hervorbringt, in der Wissenschaft dagegen als Gegenstand, Objekt.
Darum, was der Mensch im Wissen sucht, ist weniger das Werk-
zeug, die Macht, sondern W e i s h e i t , jenes Wissen, dem die
Kenntnis innerlich geworden ist, jenes, das Kenntnis und Wert in