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auf Grundlage gleichartiger Grundveranstaltungen verfolgen. Daher erklärt es

sich, daß nur solchen Parteien, welche auch diese Grundlagen verneinen, stellen-

weise absolut feindselig begegnet wird, z. B. den Anarchisten.

Abschließend kann man sagen, daß Ratzenhofers „Gesetz der absoluten Feind-

seligkeit“ nur als technisches gültig ist, also nur die eine Seite der politischen

Handlungen, nämlich als kämpfender, bezeichnet. Daher muß in der Politik wie

bei allen Kämpfen die Rücksichtslosigkeit siegen (was auch die Geschichte poli-

tischer Erfolge lehrt); aber der Charakter und Inhalt der Politik selbst ist sie

darum noch nicht. — Von hier aus ist auch die Fehlerhaftigkeit des Begriffes

der „ S t a a t s r ä s o n “ zu ermessen, der den Staatseigennutz über die Sittlich-

keit stellen will.

Z u s a t z ü b e r d e n U m f a n g d e s B e g r i f f e s d e r p o l i t i s c h e n

E r s c h e i n u n g e n

Der Umfang dessen, was noch Politik zu nennen ist, ist bekanntlich sehr um-

stritten. Im wesentlichen fragt es sich, ob nur das, was sich auf das Staatsleben

bezieht, Politik sei (Staatspolitik, „hohe Politik“). Die Mehrzahl der Verfasser

faßt heute den Begriff der Politik nur als Staatspolitik auf. Zum Beispiel sagt

Mohl: Politik ist „die Wissenschaft von den Mitteln, durch welche die Zwecke

der Staaten . . . erreicht werden“

1

; ähnlich van Calker: „Politik als Praxis [ist] . ..

die Leitung der Staatsangelegenheiten“

2

, oder Berolzheimer: „Die politische

Praxis umfaßt. .. die Regierung der Machthaber im Staate ... (auch nach außen

hin).“

3

— Nach unserer bisherigen Begriffsentwicklung müssen alle derartigen

Fassungen abgelehnt werden, denn alles Handeln der Bündnisse, der ganze Wett-

streit der Parteien oder sonstiger Träger verbündeter Tätigkeit ist Politik. —

Politik ist auf keinen Fall nur Handeln der Regierungen / selbst. Das Handeln,

das sich um die Staatsmacht dreht, gehört ebenso dazu, denn die Staatsmänner

sind mehr die ausgleichenden, neutralen Elemente, die den Parteien gehorchen,

sofern sie nicht selbst Partei sind (das sind sie schon, wenn sie das „allgemeine

Interesse“ im Auge haben). Politik ist vielmehr auf alle Verhältnisse zu be-

ziehen, wo Gruppen einander gegenübertreten. Die Staatspolitik ist nur der

höchste E i n h e i t s b e z u g alles politischen Lebens, aber nicht die einzige

Politik, insofern „Staatspolitik“ nur das kämpfende Handeln um die h ö c h -

s t e n Machtmittel, die höchsten Anstalten, das heißt um jene höchsten organi-

satorischen Bedingungen ist, die irgendeine Gruppe suchen kann. A l l e a n d e r e

P o l i t i k i s t n u r s t u f e n w e i s e v o n e i n e m g e r i n g e r e n G r a d e

ö f f e n t l i c h e n C h a r a k t e r s , a b e r n i c h t g r u n d s ä t z l i c h e t w a s

a n d e r e s ; sie sucht nur jene organisatorischen Lebensbedingungen sicherzustel-

len, welche anderen Bereichen als dem Staate angehören. So die Provinzialver-

waltung, die Gemeindeverwaltung, aber ebenso auch die „nichtöffentlichen“ Kör-

perschaften. Wenn alkoholgegnerische Vereine gegen solche Organisationen, die

1

Robert von Mohl: Enzyklopädie der Staatswissenschaften,

i.

Aufl., Tübin-

gen 1872, siehe S. 543. — Ähnlich Friedrich von Holtzendorff und andere, vgl.

unten unter Verfahrenlehre, S. 647.

2

Fritz van Calker: Politik als Wissenschaft, Rede zur Feier des Geburts-

tages Sr. Majestät des Kaisers, Straßburg 1898, S. 7.

3

Fritz Berolzheimer: Methodik und Abgrenzung der Politik, in: Handbuch

der Politik, Bd 1: Die Grundlagen der Politik, Berlin und Leipzig 1912, S. 15.