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III. Der Krieg
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Wie uns unsere großen Philosophien
die göttliche Natur des Alls lebendig
machen, um uns den Tod ertragen zu
helfen, muß die Gesellschaftslehre den
göttlichen Wert gesellschaftlichen Le-
bens klarmachen, um dem Krieg einen
Sinn zu geben.
A. Das W e s e n d e s K r i e g e s
Der Krieg ist in seinem letzten Wesen keine andere gesellschaftli-
che Erscheinung als die Politik: ein gegensätzliches Handeln, das
von Bündnissen ausgeht. Die Unterschiede liegen nur im Größen-
maßstab der Bündnisse und der ihnen entsprechenden Ziele und in
der technischen Form des gegensätzlichen Handelns, das nicht Wett-
streit, sondern unmittelbarer Kampf gegeneinander ist, daher auch
die Art der Gewaltanwendung, die hinter den beiden gegensätz-
lichen Handlungsweisen beschlossen liegt, eine andere ist.
Zuerst ein paar Worte über diese Ziele. Die handelnden Bündnisse
im Kriege sind vor allem die Staaten, also organisierte Volksgesamt-
heiten. Ihre Ziele sind nach außen gewendet, so daß der Krieg ein
nach außen gerichtetes feindseliges Handeln darstellt. Das Wesen
seiner Ziele ist aber notwendig dasselbe wie in der Politik: organi-
satorische Bedingungen (Gebietsabtretungen, Heeresfolge, Tribute,
Sicherheitsbürgschaften, Handelsverträge usw.) für die eigene Tätig-
keit, für das eigene Leben zu erlangen. — Indessen ist der Krieg
nicht notwendig Krieg zwischen Staaten. Auch B ü r g e r k r i e g e ,
A u f s t ä n d e , Kämpfe kleinerer Gruppen sind echte Kriege mit
den gleichen Merkmalen.
Hinsichtlich seiner technischen Durchführung zeigt das Handeln
im Kriege zunächst, wie das politische, weitgehende Arbeitsteilung,
was schon früher einmal
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ausgeführt wurde (Offizier — Soldat;
Generalstab — Truppe; Kampftruppen — technische Truppen —
Aufklärungstruppen usw.); darin unterscheiden sich Krieg und Poli-
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Von einigen unwesentlichen Kürzungen abgesehen, unveränderter Abdruck
aus der ersten Auflage, Leipzig 1914, S. 135 ff., die vor dem Krieg erschien.
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Siehe oben S. 476 ff.
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