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C. P o l i t i k u n d G e m e i n s c h a f t
Zur Beurteilung der politischen Erscheinungen ist festzuhalten,
daß die Politik als Gebiet des Handelns den geistigen Gemeinschaf-
ten gegenübersteht. Und zwar ist die Politik als Handeln (als „Hilfs-
handeln höherer Ordnung“) das Dienende, Gemeinschaft als Emp-
finden das Ursprüngliche.
Bedenkt man das, so ergibt sich die P a r t e i und die Tätigkeit
der B ü n d e überhaupt in der Ideenwelt, in welcher sie leben,
nicht als etwas geistig Selbständiges, sondern als etwas, dessen Quelle
die geistigen Gemeinschaften bilden, die hinter ihrem Handeln ste-
hen. Das ist der Schlüssel zu jener eigentümlichen L e e r h e i t
d e s P a r t e i l e b e n s und merkwürdigen geistigen Öde aller
Politik, trotz der heftigen Bewegung, des überstürzten Wechsels
und des heftigen Lebens, dessen Schauplatz sie ist. Das überträgt sich
oft auf die Persönlichkeit der herrschenden politischen Führer.
In kleinen Verhältnissen ist das gleiche an der typischen Figur des Vereins-
funktionärs, des „Vereinsmeiers“, besonders deutlich zu erkennen. Unschöpfe-
risches Wesen, innere Leerheit ist das Bezeichnende an ihm. Freilich spielt bei
solchen Personen Ehrgeiz, manchmal auch Eigennutz, neben gutmütiger Mitlei-
digkeit und echter sozialer Gesinnung eine Rolle. Sind sie also auch mit innerer
Empfindungsleerheit noch nicht vollständig gekennzeichnet, so ist diese doch ein
regelmäßiger Bestandteil ihres Wesens
1
.
Wo sich die bloße Geste des kleinen Vereinspolitikers zu wirkungsvollem
Tun, zu realistischer Beurteilung der Tatsachen und Kräfteverhältnisse steigert,
wo organisatorischer Blick und rednerische Begabung hinzukommen, da erst
verwandelt sich seine Person zum wirkungsvollen P a r t e i f ü h r e r u n d
S t a a t s m a n n . Doch liegt auch seine Stärke mehr in der Kraft des Handelns
als in innerem Schöpfertum. Daher ist der eifrige Jesuitenpater und politische
Verfechter religiöser Rechte zumeist weniger von innerer Frömmigkeit er-
griffen als der stille Mönch, der nicht zur Politik geboren wurde. Die politischen
Vertreter der Reichen werden von der sittlichen Würde, welche Besitz und
Bildung geben, die politischen Vertreter der Armen von Mitleid und Mensch-
lichkeit weniger ergriffen sein, als viele andere zum politischen Handeln minder
befähigte Glieder ihres Standes. So betrachtet, erscheint der P a r t e i g e i s t ,
insbesondere auch dessen ins Unbedingte gesteigerte Form, der Fanatismus,
weit mehr als eine Tugend des Wollens und Handelns denn als eine Gabe des
Empfindens. Gerade der F a n a t i s m u s , dessen Wesen dahin zu bestimmen
ist, daß das Handeln über die Geltung der Werte, welche einem geistigen Inhalt
entspringen und auf die sich die Willensrichtung gründet, noch ins Unbedingte
hinausgeht, wirft auf das Wesen des Parteigeistes wie aller politischen Tätig-
keit das hellste Licht.
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Vgl. unten S. 506 f.