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krieges ewigen Frieden schließen. Das ist deswegen ein zwingender
Schluß (dem man nicht mit dem Einwande, jeder Fortschritt sei
einmal zuerst eingetreten, begegnen kann), weil sich an der inner-
sten Grundlage und Wesenheit des Geschichtsverlaufes bis heute
nichts geändert hat.
Es sei erlaubt, auf diesen für unsere gesamte völkische und politische Denk-
richtung so wichtigen Gegenstand noch näher einzugehen. An dem letztbe-
rührten Punkte kommt gerade das ausschlaggebende, geheimere Argument der /
Friedenstheoretiker zum Vorschein: die Vorstellung, es habe sich die Grundlage
des Geschichtsprozesses, die menschliche Natur, wirklich geändert, die Meinung,
wir seien unter dem Einflusse von Dampf, Elektrizität, Maschine und Verkehr
im Innersten andere Menschen geworden, als unsere Vorväter waren. Diese
Vorstellung hat ja auch bei der Begründung anderer umwälzender Bestrebungen,
z. B. in der modernen Kunst, eine verhängnisvolle Rolle gespielt. Im Grunde ist
es aber ein recht dilettantischer Darwinismus, der hier ausgespielt wird. Nach
den Mendelschen Gesetzen sind die Rassen im Grunde überhaupt beständig.
Aber auch der Darwinische Naturforscher kann nur die langsamste Umbildung
der Arten annehmen und wird sich hüten, derartige Folgerungen aus der kurzen
und in Wahrheit mehr die Oberflächen als die Tiefen berührenden modernen
Entwicklung zu ziehen. Überdies ist die moderne Welt in der Rasse entschieden
zurückgegangen. Galton hat mit Recht erklärt, daß die Durchschnittsintelligenz
des modernen Europäers erheblich hinter der des Atheners antiker Zeit zurück-
steht. Man erinnere sich einmal an die Leichenrede, die Perikies den ersten
Gefallenen des Peloponnesischen Krieges in Athen gehalten hat, und frage sich,
ob auch nur eine ähnliche Rede heute selbst allein vor Gebildeten (nicht vor
dem Volke) möglich wäre und Verständnis fände.
Aber auch rein gesellschaftswissenschaftlich ist die Schlußfolgerung von den
äußeren Fortschritten der Z i v i l i s a t i o n auf die Umbildung des inneren Men-
schen und des Geschichtsverlaufes höchst mangelhaft. Das moderne Leben hat
zwar in der Vermehrung der Bildungsgelegenheiten, der Steigerung des geistigen
Verkehrs, dem Fortschritte der exakten Wissenschaften große geistige Um-
wälzungen vollzogen, es hat aber andererseits durch die allzu rasche äußere
Entwicklung eine Überlieferungslosigkeit in unsere Bildung, unsere Kunst,
unsere Lebensführung gebracht, die uns die edelsten und tiefsten Grundlagen
unserer nationalen Kultur verlieren ließ. Was ist uns heute die Romantik, die
Klassik, die große deutsche Philosophie von Fichte bis Hegel, die einst Gemein-
gut aller Gebildeten waren? Tröstlich ist nur der rege Historismus, der neuestens
alle Zweige unserer Kultur belebt. Gerade er aber beweist, wie sehr wir herab-
gekommen sind und wie nötig wir es haben, überall Altes auszugraben, um die
zerrissenen Fäden wieder anzuknüpfen.
Trägt das Abreißen der Überlieferung schuld an innerem Rückschritt, so hat
noch überdies die äußere Entwicklung durch Vervielfältigung der Interessen
und Hypertrophie des wirtschaftlichen Lebens die Zwiste und Reibungen im
staatlichen Leben vermehrt. Und so ist es von allen Seiten her gesehen falsch,
im Kriege eine zeitwidrige Erscheinung, die in das moderne Leben nicht mehr
passe, zu sehen. In Wirtschaft, Gesellschaft, Staat und innerer Entwicklung
des Menschen zeigt sich genau das Gegenteil: alles ist mehr auf Gewalt und
individualistische Interessenverfolgung abgestimmt denn in irgendeiner Zeit.