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B . D i e g e s e l l s c h a f t l i c h e n L e i s t u n g e n

d e s K r i e g e s

D i e Leistungen des Krieges liegen in dem, was er an organisato-

rischen Veränderungen erzielt. Er verändert sowohl das Verhältnis

eines Staates zu anderen Staaten, wie die inneren Bedingungen des

Staats- und Gemeinschaftslebens, wie auch damit den geistigen Le-

benskreis jedes / Einzelnen. Erkenntnis all dieser Leistungen und

das Urteil darüber ist für den Geist einer Gesellschaftslehre ebenso

wichtig wie bezeichnend. In der nachstehenden etwas weiter ausho-

lenden Darlegung folge ich den Ausführungen meiner, anläßlich der

Kriegsgefahr im Herbste 1912 veröffentlichten Schrift: „Zur Sozio-

logie und Philosophie des Krieges“, Berlin 1913.

Auf den ersten Blick fällt es in die Augen, wie der Krieg über die „Gestalt

der Landkarte“ entscheidet. Damit leistet er aber nichts Geringeres als die Ent-

scheidung über Ausbreitung, Herrschafts- und Einflußbereich der Staaten und der

hinter ihnen stehenden Nationalitäten, Rassen und Kulturen, also über das Ganze

der politischen Entwicklung des zwischenstaatlichen, nationalen und kulturellen

Lebens. Somit ist der Krieg aber das Werkzeug der internationalen Entwicklung,

das Organ, mit welchem sie ihre Schritte macht, die Form, in der sich die Staaten-,

Völker- und Kulturkreise auseinandersetzen.

Wer diese Rolle in voller Lebendigkeit erfaßt, ihre Notwendigkeit im Ganzen

der gesellschaftlichen Entwicklung erkennt, der fühlt zugleich mit seiner tiefsten

Wesenheit auch die Unentbehrlichkeit des Krieges. Man muß sich nur plastisch

und wahr die warme, lebendige Gemeinschaft menschlichen Fühlens, Denkens

und Tuns vorstellen, welche einen Kulturkreis, eine Nation, einen Staat aus-

macht. Wenn Staatenkraft gegen Staatenkraft, Nationalkraft gegen National-

kraft, Herrschaftsanspruch eines Kulturkreises gegen Herrschaftsanspruch auf-

einanderstößt — das kann wahrlich nicht mehr als etwas Künstliches erscheinen,

als äußerliches Geschehen, als Angelegenheit der Fürsten und Ehrgeizigen, als

etwas Vermeidliches! Das hat lebendige Wurzeln in der Notwendigkeit ge-

schichtlicher Entwicklung. Der wirkliche, aus dem Leben stammende Zwist und

Gegensatz, das Aufeinanderplatzen widersprechender gemeinsamer Bestrebungen,

Ansprüche und Interessen ist es, woraus sich der Krieg gebiert.

Man könnte einwenden, daß heute die friedliche Ausdehnung der Kulturen,

besonders die wirtschaftliche Durchdringung und Eroberung, an die Stelle der

gewaltsamen Entscheidung durch Schlachten getreten sei. Wie unlebendig, wie

ungeschichtlich wäre das gedacht! Das Leben der Gemeinschaften und ihrer

genossenschaftlichen Entsprechungen quillt immer aus denselben letzten Tiefen

der menschlichen Natur und kann sich mit keiner wirtschaftlichen Entwicklung,

auch nicht mit der kapitalistischen, ändern. Immer sind es noch dieselben lebendi-

gen Interessenkämpfe wie früher, und wie sie der moderne Mensch heute im

Privatleben kräftiger als jemals führt.

Den Krieg heute zu verneinen wäre aber nicht nur ungeschichtlich gedacht,

sondern man beginge damit auch einen Verrat an den höchsten Gütern der

Kultur. Denn es handelt sich hier um Kämpfe höherer Rassen mit niederen,