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Nach dem Amerikaner Lewis Henry Morgan
1
pflegt man zu unterscheiden:
(1)
Promiskuität (Familienlosigkeit im Urstaate)
2
.
(2)
Konsanguine Familie (nur Ehe zwischen Eltern und Kindern verboten).
(3)
Punalua-Familie oder G r u p p e n e h e = Verbot der Ehe zwischen Eltern
und Kindern und zwischen Geschwistern, aber freie Verbindung aller Frauen
und aller Männer des Stammes.
(4)
Mutterrechtliche Familie (Unsicherheit des Vaters, Polyandrie).
(5)
Patriarchat (polygame Familie, z. B. der Mohammedaner).
(6)
Monogame Individualehe (vaterrechtlich).
Diese Lehre, die das Mutterrecht als allgemeinen Durchgangspunkt annahm,
wird jetzt abgelehnt, wie sich früher zeigte
3
. Eine allgemein anerkannte andere
Lehre gibt es heute noch nicht. Wir sehen davon ab, das schwankende Schrift-
tum hierüber mitzuteilen und führen nur die K u l t u r k r e i s l e h r e an. Sie
unterscheidet
4
:
(1)
Die Familie in den U r k u l t u r e n : monogam.
(2)
Die Familie in den Primärkulturkreisen:
(a)
vaterrechtlich gerichtete Formen, Raubehen der totemistischen höheren
Jäger, Clanexogamie. Geringer Einfluß der Frau. Altersklassen, die den ganzen
Stamm durchziehen, schwächen die Familie;
(b)
mutterrechtlich gerichtete Formen (niedere Ackerbauer, Hackfrucht). Pflan-
zenzucht durch die Frau; persönliches Eigentum an diesem Boden durch die
Frau. Geheime Männerbünde — Entartung: Polygamie.
(c)
Vaterrechtliche Großfamilie der viehzüchtenden Nomaden.
Namentlich bei den vaterrechtlich organisierten Völkern mit Großfamilie,
wo die väterliche Gewalt über die Kinder groß ist, kommt die B r a u t g a b e
vor. Die Bezeichnung dieser Ehe als „K a u f e h e “ ist aber deswegen nicht
richtig, weil auch die Braut eine M i t g i f t erhält, also beide Teile zahlen.
Wenn die Brautgabe unerschwinglich ist, wird zur sogenannten R a u b e h e
als Notbehelf geschritten, die aber meistens im Einverständnisse mit dem Mäd-
chen vollzogen wird.
Eine besondere Erwähnung verdienen noch die
Männerbünde.
Diese scheinen
mehr an mutterrechtliche Kulturen gebunden und bestehen darin, daß die
meistens unverheirateten Männer bestimmter Altersklassen, nämlich die mann-
baren jungen Männer in M ä n n e r h ä u s e r n oder Lagerstätten dauernd
sich absondern und wohnen oder bei Nacht schlafen. In andern Fällen dient das
Männerhaus nur als Versammlungshaus für Zechgelage, für Beratungen und der-
gleichen auch verheirateter Männer. Schurtz faßt die Männerbünde hauptsächlich
als Vorstufe des Mutterrechtes auf. Den Männerbünden entsprechen auch W e i -
b e r b ü n d e
5
.
1
Lewis Henry Morgan: Ancient Society, London 1877, deutsche Fassung:
Die Urgesellschaft, Untersuchungen über den Fortschritt der Menschheit aus der
Wildheit durch die Barbarei zur Zivilisation, aus dem Englischen übertragen von
Wilhelm Eichhoff unter Mitwirkung von Karl Kautsky, Stuttgart 1891. Weiteres
Schrifttum siehe oben S. 44.
2
Siehe darüber oben S. 40 f.
3
Siehe oben S. 39 ff.
4
Paul Wilhelm Schmidt und Wilhelm Köppers: Völker und Kulturen, Tl 1:
Gesellschaft und Wirtschaft der Völker, Regensburg 1924 (= Der Mensch aller
Zeiten, Bd 3, 1), siehe oben S. 32 ff.
5
Heinrich Schurtz: Altersklassen und Männerbünde, Eine Darstellung der