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5. Die K i r c h e
Die Kirche ist die Anstalt (Organisation) des religiösen Gemein-
schaftslebens. Ihre Satzungen und Gewalten wurzeln daher in der
Religion, zumal diese selbst das Prius der Sittlichkeit ist. Die orga-
nisierend handelnden Personen sind der Natur der Sache nach Be-
stellte besonderer Art, Priester, wodurch zugleich der Unterschied
von Laien- und Priestertum entsteht, der nie ganz fehlt (auch bei
Griechen und Germanen nicht). Verselbständigt sich der Priester-
stand völlig, so ist damit die Grundlage für eine hierarchische Glie-
derung innerhalb der Kirche geschaffen. Der zugleich sittliche Cha-
rakter der Religion bedingt die öffentliche, die politische Natur der
Kirche als Anstalt; und ferner das Streben nach Theokratie.
Die unmittelbare Kirchengewalt (potestas ecclesiastica), vermöge
deren eine kirchliche Anstalt als solche geleitet wird, kommt in der
katholischen Kirche dem Papste zu, der sie jedem von ihm bestell-
ten Bischofe für den Bezirk seiner Diözese auf Lebenszeit über-
trägt; in der protestantischen bis zur letzten Zeit dem Landes-
herrn, wo sie namens desselben in verschiedenen Teilanstalten (Kon-
sistorien usw.) ausgeübt wird. — Im Kirchenrecht sind die recht-
lichen (öffentlichrechtlichen) Satzungen des kirchlichen Lebens nie-
dergelegt. Die letzten, maßgebenden Satzungen und Gewalten lie-
gen aber im Glaubentum selbst, das die Kirche neben den Staat
stellt, ja sie zeitweise über den Staat zu stellen vermochte (Investi-
turstreit, Sieg des Papsttums über das deutsche Kaisertum).
Da die Kirche Veranstaltung der höchsten geistigen Gemeinschaft,
der Religion, ist, darf es nicht wundernehmen, daß sie selbst auch
v o r b i l d l i c h e A n s t a l t ist, in der das organische und zu-
gleich hierarchische Baugesetz aller Veranstaltung am vollkommen-
sten verwirklicht wird. Dies gilt zweifellos in höchstem Grade von
der römisch-katholischen Kirche, mag sie auch heute allzu zentrali-
stisch aufgebaut sein. Sofern die verschiedenen Orden (Franziska-
ner, Dominikaner, Jesuiten und andere) verschiedene Richtungen
der Frömmigkeit verkörpern, stellen sie eine wichtige Seitengliede-
rung in der sonst senkrechten Gliederung der Hierarchie dar.
Grundformen der Gesellschaft, Berlin 1902. Walter Schulz: Die germanische
Familie in der Vorzeit, Leipzig 1925.
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