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Christen der Türkei im Balkankrieg nur sehr schlecht schlugen, wenn Tschechen

und Südslawen in Österreich sich bei gleicher Gelegenheit zu offener Meuterei

anschickten, ja die Tschechen mit ihren berüchtigten „Legionären“ das Schick-

sal Österreichs und damit Deutschlands im Weltkriege wesentlich mitbestimm-

ten, so sind das Beispiele von genügender Deutlichkeit. In s o l c h e n F ä l l e n

h a t a l s o d e r S t a a t a u s s e i n e n B e w o h n e r n k e i n e e i n h e i t -

l i c h e V o l k h e i t g e b i l d e t . Umgekehrt vermochten die altgriechischen

Einzelstaaten den althellenischen Nationalzusammenhang nicht zu zerreißen.

Selbst Athener und Spartaner schieden sich nicht in wirklich selbständige Volk-

heiten, und in der hellenistischen Zeit bildete sich sogar über alle staatliche

Trennung hinweg eine völkische Gemeinsprache (xotvjj) heraus. In der heutigen

Zeit boten bis zum Weltkrieg die Polen das Beispiel eines Volkstums, das in drei

Staaten als (staatsfeindliche) Minderheit lebte.

Solche Fälle zeigen mit Sicherheit, daß V o l k s t u m u n d S t a a t s v o l k

b e g r i f f l i c h n i c h t d a s s e l b e s i n d . Daran können auch gegenteilige

Beispiele nichts mehr ändern. Solche bieten Holland und bis zu einem gewissen

Grade auch die Schweiz. Dieselben Friesen, Niedersachsen und Niederfranken,

die in Deutschland Deutsche sind, sind in Holland Holländer! Ähnlich die Schweiz.

Dieselben Alemannen mit derselben Sprache, wie sie nördlich von Rhein und

Bodensee wohnen, drohen zum Teil sich südlich davon zu einer (glücklicher-

weise noch lange nicht vollendeten) völkischen Abtrennung anzuschicken, die nur

in der Selbständigkeit des Staatsverbandes ihre Grundlage findet. Hier hat also

der Staat das Volkstum in gewissem Sinne tatsächlich zu bilden vermocht — Fälle,

welche die Theorie allerdings beachten und erklären muß.

2 . D i e S p r a c h e

Nun die S p r a c h e . Ähnlich wie der Staat wurde auch die Sprache als das

eigentliche Kennzeichen der Nation betrachtet. So von R i c h a r d B o e c k h

1

.

Ähnlich von M o r i z L a z a r u s , der aber außerdem noch das „subjektive Be-

wußtsein der nationalen Zusammengehörigkeit“

2

als wesentlich hinzunimmt. Doch

auch dieses Merkmal läßt uns für die Begriffsbestimmung des Volkstums im

Stich. Die zionistischen Juden aller Völker sehen wir heute vor unseren Augen ein

Volkstum in Jerusalem begründen, dessen Sprache sie erst aus Büchern erlernen

müssen. Oder: Dänen und Norweger hatten (bis zur ,,Landsmaul“-Bewegung)

dieselbe Schriftsprache, bilden aber Volkheiten von so verschiedenem Gepräge,

daß man dem urgermanischen Wesen der Norweger das fast französische Naturell

der Dänen gegenübergestellt hat. Ähnlich steht es bei den englisch sprechenden

Nordamerikanern gegenüber den Engländern, ferner bei Spaniern und Portu-

giesen gegenüber den Südamerikanern gleicher Zunge; Buren und Holländer bie-

ten ein ähnliches Bild. Und im alten Österreich war die merkwürdige Erscheinung

zu beobachten, daß für Tschechen, welche nur Deutsch verstanden, die tsche-

chischen Parteien eine Zeitung in deutscher Sprache herausgaben (die frühere /

„Politik“, spätere „Union“ in Prag), welche den tschechisch-nationalen Zusam-

1

Richard Boeckh: Die statistische Bedeutung der Volkssprache als Kenn-

zeichen der Nationalität, in: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissen-

schaft, Bd 4, Berlin

I

86

J

.

2

Moriz Lazarus: Was heißt national? Ein Vortrag, Berlin 1880.