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Die Gemeinsamkeit des Staates ist aber offenbar etwas ganz an-
deres. Das S t a a t s v o l k hat gewisse organisatorische Lebensbe-
dingungen gemeinsam. Verfassung, Recht, Heerwesen, Schulwesen,
Zölle, Steuern stellen einen mächtigen Block solcher organisatori-
scher Bedingungen dar. Wie das geistige Leben sich unter solchen
Bedingungen entwickelt, das ist allerdings noch von anderen Din-
gen abhängig. Während z. B. die Deutschen im alten Österreich
staatlich wenig gemodelt wurden (man vergleiche damit die ganz
ähnlichen Bajuvaren Bayerns), sind die Schweizer wesentlich mehr
(wenn auch noch lange nicht bis zum Verlust des ursprünglichen
Volkstums) den staatlichen Lebensbedingungen unterworfen gewe-
sen.
Eine Gemeinsamkeit ä u ß e r e r Lebensbedingungen stellt der
geographische Raum dar (Raumvolk). Klima, Boden, Flußsystem,
natürliche Verkehrsmöglichkeit, Pflanzen- und Tierwelt sind keines-
wegs / unbedeutende Bedingungen des Lebens, sondern solche, die
gleichartiges Wohnen, gleiche Nahrung, Kleidung und eine be-
stimmte Wirtschaftsrichtung bedingen. Der Unterschied des Raum-
volkes vom Staatsvolke liegt darin, daß der Staat eine Gemeinsam-
keit organisatorischer Bedingungen des Lebens darbietet. Organisa-
tionen sind aber immer geistige Schöpfungen. Dagegen sind die
Beschaffenheiten des geographischen Raumes von der Natur gegeben.
Raumgemeinsamkeit ist also keine geistige Gemeinschaft, sondern
nur gemeinsames Haben von äußeren Naturbedingungen des Han-
delns. (Darum auch z. B. in den Alpen vielerlei Volkstümer vorhan-
den sind.)
Abermals völlig anderer Natur ist die Gemeinsamkeit der
R a s s e . Leute gleicher Rasse haben nichts anderes gemein als
(innerhalb sehr weiter Grenzen) ähnliche körperliche und geistige
Anlagen. Wie sie aber diese Anlagen unter verschiedenen staatlichen,
geographischen usw. Bedingungen weiterentwickeln werden, wird
verschieden ausfallen. Rassengemeinschaft ist somit noch nicht gei-
stige Gemeinschaft selbst.
Den Aufbau echter geistiger Gemeinschaft zeigt dagegen unter
den oben erwähnten Merkmalen die Religion. Menschen gemeinsa-
mer Religion haben nicht B e d i n g u n g e n ihres Bewußtseins-
inhaltes gemein (während Staat, Rasse, Raum, zum Teil sogar die
Sprache erst nur Bedingungen sind), sondern schon diese Erlebnisse