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menhang mit diesen pflegte. (Heute hat sich das Verhältnis umgekehrt, indem die
tschechische Regierung mittels ihrer Prager Zeitung „Prager Presse“ Deutsche
für das Tschechentum gewinnen will.) — In all d i e s e n F ä l l e n k ö n n e n
a l s o d i e w a h r e n v ö l k i s c h e n V e r s c h i e d e n h e i t e n d u r c h
d i e S p r a c h g l e i c h h e i t n i c h t b e s e i t i g t w e r d e n . Andererseits
bilden (von der neuesten Bretonenbewegung abgesehen) die Keltisch sprechenden
Bretonen mit den Franzosen, die Baskisch sprechenden Basken mit den Spaniern,
die Rhätoromanen mit den deutschen Schweizern eine Einheit, welche echt völ-
kischen Charakter annimmt. H i e r i s t a l s o S p r a c h u n g l e i c h h e i t
k e i n H i n d e r n i s f ü r d i e B i l d u n g e i n e s v ö l k i s c h e n Z u -
s a m m e n h a n g e s . Auch solche einander völlig entgegengesetzte Bildungen
muß aber die Theorie erklären können.
Eine besondere Frage stellen die Mundarten. Die oberdeutschen und nieder-
deutschen Mundarten bilden solche Gegensätze, daß die völkische Einigung
dieser Gruppen vielleicht mehr auf einer Gestaltung des Geschichtsverlaufes
(nämlich der gewaltsamen Einigung der deutschen Stämme, besonders der
Unterwerfung der Sachsen durch Karl den Großen) als auf innerer Notwendig-
keit zu beruhen scheint.
3 .
A b s t a m m u n g u n d R a s s e
erweisen sich ebenso als durchschlagende begriffliche Bedingung des Volks-
tums —, gerade wenn der Rasse die größte Bedeutung eingeräumt wird und
man so weit geht wie etwa G o b i n e a u und seine Schule (Chamberlain,
Woltmann). Man kann die Rasse als Hauptbedingung der Eigenschaften, kul-
turellen Leistungsfähigkeit usw. eines Volkes ansehen; aber das Entstehen und
die Bildung der völkischen Gruppen hat selbst dann immer noch andere Be-
dingungen als die Rassengleichheit allein. Es bliebe also auch dann die Frage
zurück, was denn das Volkstum selbst sei. — Daß heute wie ehedem kein großes
Volk einheitlicher Rasse und Abstammung ist, ist bekannt. Die Deutschen sind
im Norden Deutschlands weniger mit Slawen, Kelten und Römern gemischt als
im Süden; die Italiener setzen sich zusammen aus den nicht indogermanischen
Etruskern, ferner aus Römern, Kelten, Germanen (im Norden Langobarden
und Goten, im Süden Normannen), Griechen und Sarazenen, und das alles in
Nord und Süd ganz ungleichmäßig gemischt. Bunt und ungleichmäßig sind auch
die Mischungen in Nordamerika, wenn auch das germanische Blut entschieden
vorherrscht. — Umgekehrt besteht zwischen Holländern und Niederdeutschen eine
geringere Rassenverschiedenheit als etwa zwischen Niederdeutschen und Baju-
waren. Verhältnismäßige Rassengleichheit verhindert also nicht die Zerteilung
in verschiedene Volkstümer.
4
4 . R e l i g i o n , B o d e n u n d K l i m a
sind die weiteren Merkmale, die nun in Frage kommen. Die Religion hat
heute, wo sie sich mehr ins Gemüt des Einzelnen zurückzieht, weder staaten-
noch volkstumbildende Kraft. Daß sie diese aber in früheren Zeiten in nicht
geringem Grade besaß, das muß erklärt werden. So sind die griechisch-orthodo-
xen Serben und römisch-katholischen Kroaten sprachlich und anthropologisch
nicht verschieden, die Religion hat sie aber getrennt und zu feindlichen Nationen