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es sich, wenn die S o z i a l i s t e n (die sich zuletzt ja immer als Individualisten

entpuppen) den Rechtsbegriff bestimmen, z. B. Anton Menger: „Alle bisherigen

Rechtsordnungen sind in letzter Reihe aus Machtverhältnissen entstanden“ —

machiavellistischer Individualismus. Ähnlich Marx selbst, dessen Lehre vom

„Absterben des Staates“ (der also als eine machiavellistische Einrichtung entbehrt

werden kann) damit zusammenstimmt

1

.

Im Grunde derselbe Sachverhalt zeigt sich natürlich bei den sogenannten

P s y c h o l o g i s t e n . Wenn zum Beispiel Dilthey sagt, das Recht sei „ein auf

das Rechtsbewußtsein als eine beständig wirkende psychologische Tatsache ge-

gründeter Zweckzusammenhang“

2

; wenn Wilhelm Wundt, dessen Lehre ja

für den alten empiristischen Psychologismus so bezeichnend ist, sagt, das Recht

sei „ein natürliches Erzeugnis des Bewußtseins, das in den Gefühlen und Stre-

bungen, die durch das Zusammenleben der Menschen erweckt werden, seine fort-

dauernde Quelle hat.. .“

3

, so soll damit wohl dem Rationalismus des alten

Naturrechtes entgegengetreten und das Recht weniger ein klar bewußtes Er-

zeugnis willkürlicher Übereinkunft sein als vielmehr zum Teil aus Gefühlen und

Trieben mehr unbewußter Art verstanden, aber doch nur aus dem Seelenleben

der Einzelnen erklärt werden.

Erst die neu k a n t i s c h e R e c h t s s c h u l e schlägt andere Wege ein,

indem sie das Recht als eine reine Normenordnung behandelt, dadurch zwar dem

Psychologismus entgeht — aber keineswegs dem individualistischen Naturrechte, /

keineswegs dem Individualismus

4

. Übrigens hat jeder Rechtsbegriff, der sich

noch mit auf den Z w a n g stützt, so Stammler und andere neukantische Rechts-

lehrer, noch einen psychologistischen Rest in sich. — Im Verfahren, sofern es

„teleologisch-kritisch“, „normativ“ und jedenfalls nicht mehr psychologistisch

und überhaupt nicht ursächlich im naturwissenschaftlichen Sinne sein will, hat

die neukantische Rechtsschule zweifellos einen entscheidenden Schritt nach vor-

wärts getan. Sofern aber die neukantische Rechtsschule das „ S o l l e n “ v o m

„ S e i n “ g r u n d s ä t z l i c h t r e n n t und keine Brücke von einem zum ande-

ren findet, bleibt sie zu unfruchtbarem Formalismus verurteilt. Die Erlösung

bringt der Satz: S o l l e n i s t v o r S e i n

5

. — Diese Trennung von Sein und

Sollen bringt es auch mit sich, daß es sich bei dem „normativen“ Verfahren der

neukantischen Rechtsschule nicht um eine inhaltliche Sollenskategorie, nicht um

eine inhaltliche Normativität des Rechtes handelt, n i c h t u m G e r e c h t i g -

k e i t , s o n d e r n u m e i n e f o r m a l l o g i s c h e G e l t u n g s w e i s e . D a s

1

Darüber mehr unten, siehe S. 592.

2

Wilhelm Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883,

S. 68.

3

Wilhelm Max Wundt: Logik, 2 Bde, 2. Aufl., Stuttgart 1S93—1902, Bd 2,

Abteilung 2: Logik der Geisteswissenschaften, Stuttgart 1895.

4

Stammlers „soziales Ideal“ ist: „Die Gemeinschaft frei wollender Men-

schen“. Vgl. Rudolf Stammler: Wirtschaft und Recht nach der materialistischen

Geschichtsauffassung, Eine sozialphilosophische Untersuchung, 1. Aufl., Leipzig

1896, jetzt 5. Aufl., Berlin 1924. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Stamm-

lers Formalismus in meinem Jugendwerk: Wirtschaft und Gesellschaft, Dresden

1907.

5

Vgl. unten S. 678 ff. und oben S. 340 ff. Eine eingehende Begründung in

meinem Buch: Kategorienlehre, Jena 1924, S. 326 ff. [2. Aufl., Jena 1939,

S. 371 ff.] (= Ergänzungsbände zur Sammlung Herdflamme, Bd 1); vgl. ferner

mein Buch: Gesellschaftsphilosophie, München 1928, S. 117 ff.