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den, als metaphysisch. Das universalistische Naturrecht heißt daher

auch richtig das g ö t t l i c h e N a t u r r e c h t .

/

Festzuhalten

ist

daher:

daß

die

u n i v e r s a l i s t i s c h e

G e s e l l -

s c h a f t s l e h r e ü b e r d e n I n h a l t d e s u n i v e r s a l i s t i s c h e n N a -

t u r r e c h t e s n i c h t b e s t i m m t . Die universalistische Gesellschaftslehre ist

und bleibt eine r e i n z e r g l i e d e r n d e Wissenschaft, welcher die Begrün-

dung der Inhalte der von ihr Vorgefundenen Gezweiungen, namentlich des Geist-

ursprünglichen, keineswegs obliegt. Sie hat das Wesen und Gefüge des Zusam-

menlebens in der Gezweiung aufzuzeigen, den daraus folgenden Bau der Gesell-

schaft und das sie bestimmende Kategoriengebäude, keineswegs aber ist sie selbst

Sittenlehre, Vollkommenheitslehre, noch Kulturphilosophie überhaupt.

Das Wesen des göttlichen Naturrechtes ist am klarsten ausge-

sprochen in dem uralten, von Heraklit überlieferten Worte: „U n d

es n ä h r e n s i c h a l l e m e n s c h l i c h e n G e s e t z e v o n

d e m e i n e n , g ö t t l i c h e n.“

1

Damit ist ausgesprochen, daß

die Vollkommenheitsordnung in der göttlichen Wesensordnung der

Dinge vorgezeichnet und daß sie für die Wiedervervollkommnung

der Menschen maßgebend ist. Für die Sittenlehre folgt daraus, daß

sie sich auf den Gutsbegriff aufbaut, das heißt, daß ein Über-Dir,

ein Gegenständliches (Objektives) da ist, das als s i t t l i c h e s

G u t erstrebt werden soll und daher erst nachträglich die Tugen-

den (Tüchtigkeiten zur Erlangung des Gutes) und die Pflichten der

Einzelnen von ihr behandelt werden können; weiter: daß das Über-

Dir vor dem Du, daß die objektive Sittlichkeit vor der subjektiven

ist.

Es ist damit weiter ausgesprochen: daß das ideale Recht, göttliche

Naturrecht oder universalistische Naturrecht als gesellschaftliches,

als objektives Recht beginnt und nicht als subjektives. Daher gilt die

Stufenleiter: das allgemeine Naturrecht (Gerechtigkeitsideal, ideales

Recht) verwandelt sich in (positives) objektives Recht; das objek-

tive Recht in (positives) subjektives Recht.

Entscheidend für die weitere Begriffsbestimmung des Rechtes ist

nun die Überlegung, daß nicht die „Sittlichkeit im allgemeinen“

(das heißt Sittlichkeit als a l l g e m e i n e Vollkommenheits- und

Wertordnung ohne Anwendung auf b e s o n d e r e Verhältnisse

des Lebens) Recht werden kann, noch weniger schon selbst Recht

ist; und daß auch das universalistische Naturrecht noch kein be-

1

Vgl. Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, 3 Bde, 4. Aufl.,

Berlin 1922, Bd 1, S. 100 (Heraklit Nr. 114).