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Diesen Boden muß die universalistische Auffassung gänzlich verlassen, und
es ist dies vielleicht die schwerste Zumutung, welche an den gestellt wird, der
in der bisherigen ursächlichen, individualistischen Denkweise groß wurde. Zwar
sind die Wirtschaftsvorgänge für die universalistische Auffassung nicht minder
eindeutig bestimmt als für die individualistische, jedoch nicht auf dem Boden
der Ursächlichkeit, sondern auf dem Boden der Ganzheit. An die S t e l l e
d e r K a t e g o r i e U r s a c h e — W i r k u n g t r i t t d i e K a t e g o r i e
G a n z h e i t — G l i e d . „Gliederung“ des Ganzen in Teile (statt mechanischer
Komplexe), „Gliedhaftigkeit“ der Teile (statt ihrer Bewirktheit), „Entsprechung“
(Korrelation) der Glieder untereinander und im Ganzen (nach der Art, wie die
Merkmale eines Begriffes, die Teile eines Kunstwerkes, die Organe Herz und
Lunge, im Organismus einander entsprechen) — das sind die Kategorien, die
Denkformen, in denen sich die volkswirtschaftliche Erkenntnis abspielt. Ein
„Warum“ und „Weil“ gibt es auch für uns: aber nur als sinnvolles „Warum“
als gliedliches Warum, nicht als mechanisch-kausales! Zum Beispiel ist das Warum
des Gesetzes von Angebot und Nachfrage für uns kein mechanisch-ursächliches,
wie es für den Individualisten in „Menge“ oder „Gleichgewicht“ von Ware und
Kaufkraft liegt, sondern ein Warum von Gliederung und Neuordnung der Mit-
tel (beziehungsweise ihrer Gültigkeiten, ihrer Leistungen, / ihrer Entsprechun-
gen) bei neu geändertem Verhältnisse von Mittel und Ziel, von Erzeugung und
Kaufkraft
1
.
Die vorstehende kurze Betrachtung der Natur der Wahrheiten
aller Gesellschaftswissenschaften zeigte uns aufs klarste, daß bei
ihnen von mechanisch-ursächlichen Gesetzen, wie sie bei den Natur-
wissenschaften vorhanden sind, keine Rede sein kann.
Nach dieser mehr verneinenden Darlegung wird es nunmehr
unsere Aufgabe sein, das Wesen der Einsichten und Verfahren der
Gesellschaftswissenschaften aufbauend zu zeigen.
II. Das Verfahren aller gesellschaftlichen Wissenschaft
gründet sich auf die Bestimmung des gliedlichen
Verhältnisses der Teile zum Ganzen
Es war — wie das bei jeder Kritik zu gehen pflegt — nicht mög-
lich, die Abweisung der kausal-theoretischen Auffassung durchzu-
führen, ohne die aufbauende Antwort, worin denn das Wesentliche
des Verfahrens der Gesellschaftswissenschaften bestünde, bereits vor-
wegzunehmen. Diese Antwort hat bereits durch alle Abweisung
1
Vgl. mein Buch: Tote und lebendige Wissenschaft, I. Auf!., Jena 1921,
S. 50 [5. Aufl., Graz 1967, S. 47 ff.].