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höhere Keime, da die großen Zusammenhänge, die sich ihnen bieten,
eindringlich auf das Überindividuelle und Geistige der Gesellschaft
hinweisen und damit über das Psychologische ebenso wie über das
Mechanische hinausdrängen. Alles zusammengefaßt, ergibt sich:
Der B e g r i f f d e r W e c h s e l w i r k u n g i s t o h n e
s a c h l i c h e n L e i t f a d e n , e r l ä ß t d e n W e g o f f e n , der
ebensowohl mechanisch, biologisch, psychologisch wie formalistisch sein
kann. Man bleibt dann entweder in der Mechanik, Biologie, Psychologie
oder aber in der bloßen Stoffsammlung (Völkerkunde, Geschichte)
stecken.
Der g a n z e S t a n d p u n k t d e r „ s o z i a l e n K a u s a l i t ä t “
u n d „ p s y c h i s c h e n W e c h s e l b e z i e h u n g “ , a u f d e m
d i e n e u z e i t - / 1 i c h e n a t u r a l i s t i s c h e S o z i o l o g i e ,
d i e s e S o z i o l o g i e d e r A u f k l ä r u n g s t e h t , i s t e i n
F u n d a m e n t a l i r r t u m .
D i e
A n w e n d u n g
d e s
m a t h e m a t i s c h - n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n E r k e n n
t n i s i d e a 1 s a u f G e s e l l s c h a f t u n d G e s c h i c h t e i s t
u n m ö g l i c h .
Darum ist die ganze moderne naturalistische Soziologie nichts als ein
verzweifelter Kampf zur Durchführung und Behauptung einer
Unwahrheit, ist ihre Ergebnislosigkeit und Zersplitterung ein Zeuge ihres
Zusammenbruches, der zugleich ein Zusammenbruch der Aufklärung
selbst ist. Wenn diese in unseren Tagen auch schon unbewußter und
verwässerter auftritt, so herrscht sie doch noch fast ebenso wie vor
hundert Jahren, ehe die Romantik, ehe Fichte, Schelling, Hegel und
Baader ihr entgegentraten und eine andere, eine nicht-ursächliche
Gesellschaftsbetrachtung schufen.
Die innere Haltlosigkeit der naturalistischen Soziologie erklärt es
endlich auch, warum in dem ungeheuren soziologischen Schrifttum so viel
Unstrenges, Zusammengerafftes, so viel Laienhaftigkeit oder gar
Schwindel anzutreffen ist, warum so viele unklare Köpfe sich gerade hier
versuchen. Selbst in dem kurzen Überblick der vorstehenden
Ausführungen, der nur das Allerwichtigste des Schrifttums auswählte, ist
die größere Anzahl der angeführten Werke nur wenig gediegen zu
nennen.