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deren Stoff zu ihrer Darstellung „Farbenkleckse“ bilden. Das

Nib e l u n g e n l i e d (A) besteht nicht aus Buchstaben

{aßy),

sondern

aus Begebenheiten, Schicksalen, Gestalten; die Ganzheit, die Idee, das

Wesen, die Gestaltenwelt des Nibelungenliedes ist es, die sich in Worten

und Lauten (Buchstaben) darstellt, ausgliedert. /

So w e n i g w i e m a n d a s N i b e l u n g e n l i e d a l s e i n e

M i l l i o n

B u c h s t a b e n ,

d i e

i n

b e s t i m m t e r

R e i h e n f o l g e , , w i r k t e n “ , e r k l ä r e n k a n n ,

s o w e n i g m a n „ H a u s “ a l s x Z i e g e l s t e i n e , „ W a 1 d “

u n d „ B a u m s c h u l e “ a l s y B ä u m e e r k l ä r e n k a n n ,

s o w e n i g

k a n n

m a n

G e s e l l s c h a f t ,

S t a a t ,

W i r t s c h a f t d u r c h d i e A n z a h l d e r M e n s c h e n u n d

i h r e W e c h s e l w i r k u n g e n e r k l ä r e n . A ist niemals durch

αβγ

bestimmt (zusammengehäuft-summiert), sondern umgekehrt; A ist

das Primäre, Erste, Ureigene (Haus, Ziegelofen, Staat, Fabrik, Bild, Lied,

Nation), das sich in

αβγ

als in seinen Gliedern darstellt, ausgliedert,

unbeschadet einer gliedhaften Eigenlebendigkeit (vita pro- pria) der

Glieder.

Diese unsere Auffassung darf keineswegs als unerhört und neu

betrachtet werden! Sie ist uns Heutigen nur infolge unserer gänzlich

empiristisch-mechanischen Bildungsrichtung abhanden gekommen und

allzu ungewohnt. Schon Aristoteles hat das Wesen des Gesamtzustandes

klar erkannt, und jeder philosophisch höher gebildeten Zeit war die

gleiche Einsicht geläufig. Sein berühmtes Wort, daß das G a n z e

n o t w e n d i g f r ü h e r s e i a l s d e r T e i l ,

τό γάρ ολον πρότερον

άναγκαΐον είναι του μέρονς

,

erschöpft bereits den Tatbestand

1

. Freilich ist

unter dem V o r r a n g e d e s G a n z e n v o r d e m T e i l e , den

dieser Satz ausspricht, nicht ein einfaches Vorangehen in der Zeit gemeint,

sondern die l o g i s c h e Priorität. „Wenn der ganze Leib dahin ist“, heißt

es bei Aristoteles weiter, „gibt es auch nicht mehr Fuß noch Hand, außer

dem Namen nach ... Denn die begriffliche Bestimmung eines jeden

Gegenstandes liegt in seinem Werke und seinem Vermögen, dasselbe

auszurichten (das heißt also: in seinem Verhalten, seinen Eigenschaften),

so daß, wo er diese nicht mehr hat, man auch nicht

1

Aristoteles: Politik, griechisch und deutsch von Franz Susemihl, Leipzig 1879,

Erstes Buch, Kapitel 1, § 11 b. — Weiteres darüber siehe unten S. 152 ff. und unter

„Verfahrenslehre“, S. 633 ff.