Z w e i t e s B u c h
Die Wesenstheorien der Gesellschaft:
Individualismus, Universalismus,
Abgeschiedenheitslehre
An jede Gesellschaftslehre, welche als allgemeine Wissenschaft über
den gesellschaftlichen Einzelwissenschaften stehen will, tritt als oberste
Frage die heran: wie die kollektive Einheit vorzustellen sei, die in der
„Gesellschaft“ beschlossen liegt. Mit anderen Worten: in w e l c h e m
S i n n e G e s e l l s c h a f t e i n G a n z e s , w i e d i e E i n h e i t
d i e s e s „ G a n z e n “ z u b e s t i m m e n s e i .
Der Begriff der Gesellschaft als einer kollektiven „Einheit“, eines
„Ganzen“ kann nun — um vorerst in Anlehnung an bekannte
Wissenschaften zu reden — formell in zweifacher Weise gefaßt werden:
entweder nach der Art eines Mechanismus, in welchem alle Einzelteile
selbständige Existenzen, eigene Wirklichkeiten (Realitäten) bilden; oder
nach der Art eines Organismus, in welchem die Teile nur
verhältnismäßig selbständig sind, indem sie vor allem als
Verrichtungsträger, Glieder (Organe) ihr Dasein führen und sich aus dem
Leben und der Lebenskraft des Ganzen ernähren.
Die erstere Ansicht, wonach die einzelnen Teile, die Individuen, das
Primäre, der alleinige Grund der Gesellschaft sind, wonach die
Gesellschaft nur aus Individuen besteht, in ihrem Dasein sich erschöpft,
heißt „Individualismus“. Die letztere Ansicht, wonach der
Zusammenhang der Individuen im Gesellschaftsganzen das Primäre ist,
dieser Zusammenhang auch den Grund der Gesellschaft bildet, heißt
„Universalismus“.