80
[62/63]
s c h i c h t s l e h r e , Geschichtsauffassung). Die Geschichtslehre lassen
wir in diesem Buche beiseite
1
.
Die vorstehenden Aufgaben- und Begriffsbestimmungen lassen sich
auch in folgende Sätze bringen:
1.
Der B e g r i f f d e r G e s e l l s c h a f t , der in einen formalen
und sachlichen zerfällt, ist der Hauptbegriff der Gesellschaftslehre und ihr
eigentümliches Problem, welches sie zu einer selbständigen Wissenschaft
macht.
2.
Der G e s e l l s c h a f t s b e g r i f f a l s H a u p t b e g r i f f d e r
G e s e l l s c h a f t s l e h r e ist zugleich der oberste und zentrale Begriff
aller besonderen Gesellschaftswissenschaften und daher das höchste
Problem / in ihrem methodischen und systematischen Aufbau. Von ihm
aus begründet sich und um ihn gruppiert sich das System der
gesellschaftlichen Einzelwissenschaften.
So viel über die Systematik, nun zur V e r f a h r e n f r a g e
2
. Ist nach
dem Früheren die Wechselwirkung gar nicht die Grunderscheinung der
Gesellschaft, und liegt ferner die erste Wirklichkeit gar nicht in den
Teilen, so ist es klar, daß die Gesellschaftslehre auch nicht von den Teilen
aufsteigend zum „Schein“-Ganzen fortschreiten kann: daß sie a l s o
n i c h t , w i e d i e n a t u r a l i s t i s c h e n S c h u l e n w o l l e n ,
i n d u k t i v u n d i n d i e s e m S i n n e a u c h n i c h t r e i n
E r f a h r u n g s w i s s e n s c h a f t i s t ; s o n d e r n s i e s t e i g t
v o m w a h r h a f t R e a l e n , d e m G a n z e n , z u d e n
G l i e d e r n
a l s
d e s s e n
B e s t i m m t h e i t e n
( D e t e r m i n a t i o n e n )
h e r a b
u n d
i s t
d a r u m :
a n a l y t i s c h , d e d u k t i v u n d B e g r i f f s w i s s e n s c h a f t .
Denn die Gesellschaft ist keine Naturtatsache, sondern eine geistige
Tatsache.
Freilich wird es darum am vollen Reichtum der Erfahrung, an höchster
Treue zur Erfahrung nicht fehlen: aber tragend ist die Analysis dieser
Erfahrung — als einer Ganzheit! Das Nicht-Kausale, die sinnvolle, die
gliederbauliche Bestimmtheit der Teile ist es nun, was das Verfahren trägt.
Nur Erfahrung lehrt uns die Ganzheiten kennen; nur durch sie erhalten
die erschlossenen Ganzheiten Fülle,
1
Einige ihrer Fragen behandelte der Verfasser in seinem Beitrage zur Gedächtnisschrift
für Georg von Below: Uber die Einheit von Theorie und Geschichte, Berlin 1928.
2
Vgl. dazu noch unten fünftes Buch, S. 633 ff.