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Lediglich der Begriff der Einheit des Wesensgrundes der Ge-
schichte ermöglicht, daß wir von „Entfaltung“ sprechen können.
Wir brauchen aber nicht zu wissen, was der letzte Sinn der Ge-
schichte, der sich entfaltenden Ganzheit, ist und können doch das
ganzheitliche Denken an die Geschichte heranbringen (dies gegen
Hegel).
Die Einheit des Wesensgrundes schließt auch alle jene Leere und
Geistesmüdigkeit aus, wie sie der nachromantische Historismus der
Dilthey, Troeltsch, Schmoller und anderen zeigt, welcher allzusehr
der empiristischen „Induktion“ nahekam.
Die „Entfaltung“ schließt auch jeden mechanischen Fortschritts-
begriff aus, da sie ein sinnvoller und ein in sich abgeschlossener Vor-
gang ist, nicht aber eine unaufhörliche Verneinung des Vorherigen.
— Die Entfaltung einer Ganzheit in der Zeit kann aber auch in sich
selbst keine mechanische sein. Sie geht überall in geistigen Unter-
ganzheiten und Gliedern mit Eigenleben, mit arteigener Freiheit
vor sich. Selbst eine Leitung durch Vorsehung ändert, wenn sie an-
genommen wird, hieran nichts, denn Gott will nicht über Sklaven,
sondern über Freie herrschen. „Bei Gott ist keine Gewalt“, sagt ein
urchristliches Wort, das die Tiefe des echten Schöpfungsaktes ent-
hüllt. Wie jede wahre schöpferische Einwirkung, so ist auch diese
Einwirkung nur vorzustellen als Lockung, Hervorlockung. Daran
ist nichts Mechanisches, denn der, aus dem hervorgelockt werden
soll, kann auch widerstehen. Er muß in eigener Schöpferkraft das
Anerschaffene (die Gabe) weitergeben.
Wie jede Seele, so ist auch jede Epoche nach Rankes unsterbli-
chem Worte „ u n m i t t e l b a r z u G o t t “ . Aber was will das
besagen? Wohl die Unmittelbarkeit, aber keine Gleichheit, keine
Gleichwertigkeit der Epochen! Auch der Verbrecher und der Hei-
lige, beide haben eine unsterbliche Seele „unmittelbar zu Gott“, aber
gleich sind sie darum nicht.
Im Begriffe der „Entfaltung“ liegt nach allem Gesagten: daß
ü b e r der Entwicklung und vor der Entwicklung die innere Ein-
heit dessen steht, was in der Zeit schrittweise zur Darstellung
kommt. Das sich in der Zeit Entfaltende aber hat an sich selbst keine
fortgehende Entwicklung, keinen äußeren Fortschritt. Mit dem
Satze: es ist das Ganze, das sich — auch der Zeit nach — in den