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S t a n d e s (z. B. „Schlagfertigkeit“ oder „Verfall“ eines Heeres,
Gesundheit oder Krankheit des Körpers). Auch dieses Urteil ist nicht
subjektiv, es ergibt sich aus dem Gefüge und dem Sachgehalte, das
heißt aus den i n n e r e n A u s g l i e d e r u n g s a n f o r d e r u n -
g e n d e r G a n z h e i t e n ! Es ist daher, das kann nicht genug
betont werden, dem Wesen der Sache nach ein objektives Werturteil,
mit dem es die Geschichtsforschung zu tun hat, nicht ein solches, das
subjektiver Stellungnahme entspringt.
Die weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhange ergibt, ist:
Ob die Geschichte nur die Entfaltung einer rein objektiven Wert-
welt, eines unpersönlich Allgemeinen, zum Gegenstande habe, oder
ob auch die P e r s ö n l i c h k e i t zur Geltung komme, ob z. B.
die Religionsgeschichte als Dogmengeschichte oder als Frömmigkeits-
geschichte zu schreiben sei?
1
Diese Frage ist aber falsch gestellt. Denn
die geschichtlich sich entfaltende Gesellschaft ist zwar „objektiver
Geist“, ist überindividuelle geistige Ganzheit, aber sie ist es nicht
ohne die einzelnen Menschen als ihre letzten Glieder. Das Ganze
stellt sich nur in den Gliedern dar. Die Geschichte der Religion z. B.
kann daher nicht als Dogmengeschichte, als Kirchengeschichte, als
Frömmigkeitsgeschichte, als Heiligen- und Reformatorengeschichte
getrennt werden, indem die ersteren das Überpersönliche, die letz-
teren das Persönliche zum Gegenstande hätten; sondern sie alle sind
eine untrennbare Einheit. Der „ o b j e k t i v e G e i s t “ i s t
n i c h t s u n p e r s ö n l i c h A l l g e m e i n e s , e r k a n n d a -
h e r n i c h t u n g e g l i e d e r t a u f t r e t e n , er kann daher
auch nicht ohne Persönlichkeit auftreten.
Die Geschichte der Persönlichkeiten ist aber andererseits gerade
darum wieder keine „psychologische“ (das heißt mechanische Kau-
salität im seelischen Leben des Einzelnen darlegende). Denn es han-
delt sich nicht um Subjekte als solche, sondern um Glieder! Nicht
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Vgl. Erich Rothacker: Logik und Systematik der Geisteswissenschaften, Hand-
buch der Philosophie, Teil II, München 1926, S. 118 f. und öfters. — Ähnlich
bei Walter Köhler: Idee und Persönlichkeit in der Kirchengeschichte, Tübin-
gen 1910, S. 77, welcher Georg Mehlis: Schellings Geschichtsphilosophie in
den Jahren 1799—1804, Heidelberg 1906, anführt: „Die großen Taten der
Geschichte sind nur scheinbar das Werk der einzelnen Individuen, im Grunde
genommen ist es der Weltgeist, der in ihnen handelt..., so daß die Helden
der Geschichte unter dem letzten metaphysischen Gesichtspunkte als bloße
Puppen erscheinen in der Hand des göttlichen Marionettenspielers.“