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ten auf Goldgrund malten; wo sie das Himmlische darstellt, ge-
schieht es ungezwungen und gleichsam natürlich, sie ist dort wie zu
Hause und bleibt dennoch in ihrer höheren Ebene; wo sie aber das
Unterirdische sprechen läßt, spürt man das unauflösliche Dunkel
der Welt und den strafenden, über Schrecken thronenden Gott.
Wer solches Lob bezweifelt, der höre, höre und höre immer
wieder. Einmal kommt die Zeit, wo er nicht mehr fragt. Aber zum
Hören muß er etwas mitbringen, außer dem Glauben und der ge-
hobenen Seele noch etwas anderes. Er muß im Inneren gleichsam
etwas offen, unbedeckt lassen, damit es berührt werden könne.
Es gibt verschiedene Wege, auf denen man sich der Tonwelt
Mozarts nähern kann. Der geradeste Weg ist derselbe wie sonst in
aller Kunst. Mozart versenkte sich in den Gegenstand und erfaßte
eingebungsvoll seine inneren Zeitmaße und Töne. Der Zuhörer
muß den gleichen Weg gehen wie der Künstler, wird aber von der
Musik dabei geführt. Dafür ist, um aus tausend Beispielen nur eines
zu nennen, der Zwiegesang: „Geschwind, die Tür / geöffnet“
1
mit
seiner hastigen Eile besonders kennzeichnend. An diesem Beispiele
— es ist in Wahrheit der zweite Satz einer Sonate, die in den zwei-
ten Akt des „Figaro“ eingebaut wurde — ist überhaupt die Arbeits-
weise Mozarts besonders leicht zu erkennen. Die Zeitmaße stellen
die hastige Eile dar, an sie knüpft sich aber zugleich die Angst; ähn-
lich knüpft sich, um noch ein anderes Beispiel zu nennen, an die
Zeitmaße des Herzklopfens
2
die Liebe, das heißt aber ganz allge-
mein gesagt: an das Konkrete das Allgemeine, an die Erscheinung
die Idee! Nun steht es aber bei Mozart so, daß er a u ß e r d e m
noch etwas anklingen läßt, was gleichsam hinter Ton und Zeitmaß
des Dinges, hinter dessen Wesensrhythmus zurückgeht. Und hier
öffnet sich ein anderer Weg zu Mozart.
1
Alle
Anführungen
folgen
den
Klavierauszügen der „Universal-Edition“
(UE),
Wien, Leipzig, sowie: Ludwig Ritter von
Köchel:
Chronologisch-Thematisches
Verzeichnis sämtlicher Tonwerke W. A.
Mozarts (1862), 3. völlig neugestaltete
Aufl. Alfred Einsteins, Leipzig 1937 (= KV):
Die Entführung aus dem Serail (1782), KV
2
Mozart: Die Entführung aus dem Serail, I,
Nr 4 „Klopft mein liebvolles Herz“,