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sich erhoben, ist nun nicht mehr der Seele in der Idee gleich, sie wird

durch jenes Wollen zur Individuellen, denn dieses Wollen ist eben

das Individuelle in ihr.. .“

1

„Jenes Wollen, für sich oder selbst et-

was zu sein, durch das die Seele aus dem Zustand des Seeleseins ge-

setzt wird, ist der Seele ein Fremdes, etwas durch das Zwiespalt in

sie kommt, und das ihr Ursache der Unseligkeit ist.“

2

Schellings

Grundgedanke ist durchsichtig. Er sagt sich: Sein ist Schöpfung;

Schöpfung ist aber Wollen, und zwar wie beim menschlichen Ich,

Selbstsetzung; also Sichselbstwollen. Das Sichselbstwollen ist das

Wesen des Werdeganges des Ich — ist die Ursache seiner Ruhe-

losigkeit, Unseligkeit. Daher ist der Grund: Abfall von Gott, Sich-

selbstwollen anstatt Gott zu wollen.

Diese Lehre vom Abfall scheint uns letzter Prüfung nicht stand-

zuhalten. Sie leidet schon daran, daß die Rückverbundenheit des

Herausgetretenen nicht bedacht wird. In ihrer Wurzel bleibt die

Welt ja doch in Gott befaßt! Nichts Geschaffenes kann der Rück-

verbundenheit entbehren. Ferner leidet die Abfallslehre daran, daß

die Selbstheit als reine Abgelöstheit, als Fürsichsein aufgefaßt wird

— denn sonst wäre sie unmöglich Ablösung, Abfall von Gott —

während sie in Wahrheit nur gliedhaft gedacht werden kann (wie

sich aus der ganzheitlichen Kategorienlehre ergibt

3

. — Auch sonst

scheint uns Schellings Gedankengang (den dann bekanntlich Scho-

penhauer verzerrte) nicht beweiskräftig, denn er sagt nichts, als daß

die Selbstsetzung eben Selbstsetzung sei und darum auch Selbst-

wollen, Tat. Daß die Tat notwendig ist zur Schöpfung (Setzung) ist

zuzugeben. Daß diese Tat bestimmt und begrenzt sein muß, also als

Bestimmtes, Endliches auch ein / Selbsthaftes umfassen muß, ist

doch wohl ebenfalls zuzugeben. Folgt daraus aber der Abfall?

Wenn das Bestimmte mit andern bestimmt ist, wenn es ein Mit-

bestimmtes ist; wenn das Bestimmte, Begrenzte ein Gliedhaftes ist;

wenn das Sichselbstwollen an die Gezweiung gebunden ist, dann

bleibt es in der Hand des Schöpfers. — Wäre Schellings Gedanke

richtig, dann müßte man sagen, daß Begrenzung schon Abfall wäre.

1

Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Sämtliche Werke, Stuttgart 1856—

1861, Bd 11, S. 464.

2

Schelling: Sämtliche Werke, Bd 11, S. 473.

3

Vgl. meine Bücher: Kategorienlehre (1924), 2. Aufl., Jena 1939, S. 274 f.

[3. Aufl., Graz 1969, S. 251 f.]; Gesellschaftslehre (1914), 3. Aufl., Leipzig 1930,

S. 113 ff. (Begriff der Gezweiung) [4. Aufl., Graz 1969, S. 143 ff.].