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„Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; man wird auch
nicht sagen: Siehe, hie, oder: da ist es. Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig
in euch“
1
.
Erst von diesem inneren Begriff des Reiches Gottes her, als der
Anteilnahme am innergöttlichen Leben, ist der äußere Begriff dieses
Reiches, die Herrschaft Gottes in der Welt, ableitbar. Diese äußere
Herrschaft wird aus Schwäche der Menschen niemals vollkommen
zur Geltung kommen.
Den Ursprung des Begriffes vom Reich Gottes aus der mysti- /
schen Erfahrung, also zuletzt aus der Gottverwandtschaft, zu er-
kennen, ist unendlich wichtig. Im Reich Gottes oder Himmelreich,
das „inwendig in euch“ ist, haben wir die christliche Form des
„ B r a h m a n “ , „ T a o “ , „ Ni r v â n a “ (dieses positiv gefaßt)
vor uns — eine Erkenntnis, welche unseres Erachtens noch der Ver-
wertung in der christlichen Theologie harrt. Der christlichen Mystik
dagegen ist es selbstverständlich, den Begriff des Reiches Gottes als
Anteilnahme am innergöttlichen Leben zu verstehen, daher auch als
Himmelreich, ohne die Gefahr, es, wie das bei den Begriffen „Brah-
man“, „Tao“ möglich ist, zu substanziieren, zu verstofflichen, oder
wie beim „Nirvâna“, dem Leben zu entrücken, gleichsam zu nihili-
sieren.
Das Reich Gottes als Anteilnahme am innergöttlichen Leben lehrt
unter anderen die heilige T h e r e s i a . Bei der Erklärung der Bitte
des Vaterunsers „Zu uns komme Dein Reich“verweist sie auf jene
Stufe der Verzückung, von ihr „Gebet der Ruhe“ genannt, in wel-
cher die Menschen „Andeutungen von dem finden, was er (Gott)
denjenigen mitteilt, die er in sein himmlisches Reich aufnimmt“.
„Das größte Gut, das man unter anderen Gütern im Himmelreich
hat, ist dieses, daß man ... einer Ruhe, einer Herrlichkeit in sich sel-
ber, einer Freude über die Freude aller, eines ewigen Friedens und
einer unaussprechlichen Wonne genießt“ — über dem Anblicke des
Herrn
2
.
Auch wenn A u g u s t i n u s sagt, er habe Gott an vielen Orten
gesucht und ihn endlich in seinem Inneren gefunden, deutet er auf
dasselbe hin.
1
Lukas 17, 20 f.
2
Heilige Theresia: Weg der Vollkommenheit, Hauptstück 30, 2 a, Regens-
burg 1921.