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Religion vor Augen. Wenn der Mensch in Gott als dem letzten
Zentrum ruht, wenn also die Unmittelbarkeit im Verhältnis der
Seele zu Gott erreicht ist, erst dann können wir von Mystik sprechen.
Das bedeutet aber, daß die Rückverbundenheit nicht passiv ist,
sondern ein schöpferischer Prozeß, in dem der Mensch aktiv werden
muß.
Höchste Stufe dabei ist die mystische Einung oder Einigung. Bevor
diese erreicht wird, sind verschiedene Stufen der mystischen Er-
fahrung notwendig: Reinigung, Erleuchtung und Einigung. Daraus
ersehen wir, daß die abgeleiteten Kategorien, wie Offenbarung,
Schöpfertum, Gottesdienst, diesen mystischen Erfahrungen ihr
Wesentliches verdanken.
Was aber ist Mystik? Sie ist nichts Schwärmerisches oder Irratio-
nales, sie ist innerlich, ohne subjektiv zu sein; was für sie charakteri-
stisch ist, ist Unmittelbarkeit, woraus sich wieder ein Stufenbau des
mystischen Erlebnisses ergibt.
In der ersten Stufe dieser Erfahrung tritt ein Unmittelbares, Ein-
faches und Erlebtes auf, eine bestimmte Art von Gewißheit.
Die zweite Stufe, die über der ersten steht, ist die Stufe der außer-
ordentlichen Geisteszustände, die zur mystischen Einigung fuhren
und in der Ekstase ihren Höhepunkt finden. Wesentlich mit diesen
Zuständen verbunden ist die Sammlung, die Konzentration, das
mehr oder weniger Ausgeschaltetsein der äußeren Sinne. Dadurch
bekommen diese Zustände wieder verschiedene Grade der Intensität.
Die Unmittelbarkeit, als Quelle des Staunens bei den Griechen
als erste Stufe der Philosophie erkannt, ist mystischen Ursprungs.
Neben der Unmittelbarkeit haben wir in der Mystik noch das Ele-
ment der Einheit zu bedenken. Die Welt würde in eine Vielheit
auseinanderfallen, wenn nicht der mystische Grund alles geistigen
Lebens, insbesondere der Erkenntnis gegeben wäre. Mystische
Elemente sind überall dort, wo nicht Stückwerk, sondern Einheit,
ein Einheitsgrund gegeben ist. Diese Einheit wird noch deutlicher
auf der zweiten Stufe. Denn aus der Sammlung wird Versunken-
heit, Schau, diese schreitet zur Verzückung oder Ekstase fort und
steigert sich bis zur mystischen Einigung. In der Ekstase wird der
Geist sich selbst entrückt, sodaß er eins mit dem Wesensgrund
wird.