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der Ganzheitslehre, des Universalismus, so stoßen wir auf zwei Funde

und Befunde Spanns: einen intuitiv-irrationalen und einen logisch-

rationalen.

Der erste, der intuitiv-irrationale Befund, ist die E n t d e c k u n g

d e r „G e z w e i u n g“, wie ihn Spann mit einem Kunstausdruck

kennzeichnet.

Das ist der Befund, daß der menschliche Geist nur durch das Mit-

dabeisein eines anderen Geistes, also nur in Gemeinschaft denkbar

ist. Dieser Befund, der heute für die Schulen der sogenannten Ver-

haltensforschung und der naturwissenschaftlichen ebenso wie der

philosophischen Anthropologie so selbstverständlich erscheint, war

damals durch eine jahrhundertealte Herrschaft des Individualismus

mit seiner Lehre vom geistig autarken Individuum verschüttet.

. . die Gemeinschaft des Volkes, des Stammes und vor allem der

kleinen übersehbaren ,Aug-in-Aug-Gruppen‘ (face-to-face-groups der

amerikanischen Soziologie) haben eine Bedeutung, die jedem Ver-

gleich mit tierischen ,Staaten' spottet. Zunächst erfordert rein

vegetativ die einzigartig hinausgezögerte menschliche Kindheit einen

Dauerschutz, der nur in irgendeiner Institution zu finden ist. Hier ist

die Gemeinschaft in die Wachstumsprozesse eines Wesens hinein-

komponiert wie die Luft“

1

.

Die zweite, die logisch-rationale Einsicht, die Spann als Begriffs-

geber von großer systematischer Kraft kennzeichnet, ist die Erkennt-

nis, daß die in Gezweiung, in „Beziehung“ stehenden Menschen

G l i e d e r e i n e r G a n z h e i t sind.

Spanns entscheidende Erkenntnis: Der Universalismus geht von

der Gezweiung aus, von der Grundtatsache, daß jeder geistige Akt

nur durch das Dabeisein eines anderen Geistes, eines gefreundeten

oder gezweiten, entstehen kann. Dadurch wird dieser Akt gliedhaft.

Wo Glied ist, ist auch ein Ganzes. Daher erscheint der Einzelne als

Glied und als Glied eines geistigen Ganzen (Bd 11, 20 und pas-

sim).

Mit beiden Einsichten gewinnt Spann mit einem Schlage die An-

1

Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Frankfurt/

Main 1971, S. 61.